Frankfurt (Reuters) - Belgiens Notenbankchef Pierre Wunsch spricht sich für eine langsame Gangart bei der erwarteten Zinswende der EZB aus.

Es müsse zwar - außer bei einem plötzlichen Schock in den kommenden Monaten - beim ersten halben Prozentpunkt an Zinssenkungen nicht mehr lange überlegt werden, sagte Wunsch dem "Handelsblatt" in einem am Dienstag veröffentlichten Interview. Es wäre falsch, mit der Zinswende zu warten, bis alles geklärt sei, denn dann wären die Währungshüter zu spät dran. "Trotzdem sollten wir schrittweise und nicht zu schnell vorgehen," sagte das Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB). "Wir sollten davon absehen, uns auf eine zweite Zinssenkung bereits im Juli festzulegen."

Gegen zwei Schritte vor der Sommerpause sprechen Wunsch zufolge die Börsenerwartungen. "Die Märkte würden davon ausgehen, dass wir eine Serie von Zinssenkungen einleiten", merkte er an. Nach den ersten beiden Schritten nach unten werde es schwieriger. Zwar sei ohne einen negativen Schock ohne großes Risiko ein halber Prozentpunkt drin. "Aber wir müssen vorsichtig bleiben, denn es ist unsicher, wo wir am Ende mit den Zinsen landen werden", führte er aus.

Am Finanzmarkt gilt eine erste Zinssenkung auf der geldpolitischen Sitzung am 6. Juni bereits als so gut wie ausgemacht. Am Geldmarkt wird aktuell die Wahrscheinlichkeit mit 85 Prozent taxiert, dass die EZB dann den Einlagensatz, den Geldhäuser erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken, um 0,25 Prozentpunkte auf 3,75 Prozent senkt. Darüber hinaus werden bis zum Jahresende höchstens noch zwei weitere Schritte nach unten erwartet.

Im Blick hat Wunsch auch die Zinsentwicklung auf der anderen Seite des Atlantiks in den USA. Dort könnte die US-Notenbank Federal Reserve den Leitzins angesichts einer hartnäckigen Inflation womöglich noch länger hoch halten. Aus Sicht von Wunsch könnten höhere US-Zinsen einen starken Dollar zur Folge haben und eine importierte Inflation in der Euro-Zone bewirken. "Das könnte dazu führen, dass wir unsere Leitzinsen langsamer senken." Es sei aber unwahrscheinlich, dass dies die Währungshüter vom Inflationspfad Richtung zwei Prozent abbringe. "Die US-Wirtschaft läuft wesentlich besser als die europäische, ein größerer Zinsabstand ist deshalb normal."

In der Euro-Zone lag die Teuerungsrate zuletzt mit 2,4 Prozent im April nicht mehr weit entfernt vom EZB-Ziel von 2,0 Prozent. Außerdem ist die Wirtschaft der 20-Länder-Gemeinschaft erst im Auftaktquartal dieses Jahres wieder in die Wachstumsspur zurückgekehrt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nahm um 0,3 Prozent zum Vorquartal zu. In den beiden Jahresvierteln zuvor war es noch jeweils um 0,1 Prozent geschrumpft.

(Bericht von Frank Siebelt, redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)