Zürich (awp) - Die Realität holt die Investoren an den weltweiten Finanzmärkten einmal mehr ein - auch am Schweizer Aktienmarkt. Die Mischung der zahlreichen Belastungsfaktoren, die in den letzten Monaten immer wieder mal aufgekocht sind, sorgt zur Wochenmitte für klar tiefere Kurse. Der Leitindex SMI bewegt sich aktuell auf einem Niveau, das er zuletzt im Mai hatte. Die Ursachen für die zuletzt verstärkte Risikoaversion sind vielfältig: Allen voran steht noch immer der Kollaps des chinesischen Immobilienriesen Evergrande im Raum und die Möglichkeit, dass von einer Pleite ein Dominoeffekt ausgehen könnte. Dies gelte umso mehr, weil sich nun auch Evergrande-Rivalen in Liquiditätsnöten befänden, heisst es in einem Kommentar.

Steigende Renditen, die hohen Rohstoffpreise, die Lieferkettenproblematik und weiter zunehmende Inflationssorgen spielen ebenfalls eine Rolle. "So haben etwa der unerwartet starke Rückgang der Auftragseingänge in der deutschen Industrie deutlich gemacht, dass nicht nur die gestiegenen Rohstoffpreise ein Problem darstellen, sondern die Flaschenhals-Rezession tatsächlich ein realistisches Szenario darstellt", kommentiert ein Börsianer. Dabei spielten die internationalen Störungen der Lieferketten eine grundlegende Rolle. Das Verhältnis zwischen Wachstum und Inflation verschlechtert sich zusehends, insbesondere in Europa, und schwappt nun auch auf Asien über. Aber auch für die USA wachse die Sorge, dass die Angebotsseite nicht mit der Nachfrage Schritt halten könne. "Infolgedessen überlegen viele Anleger, wie sie sich für eine Phase der Stagflation positionieren können, die durch langsameres Wachstum und hohe Inflation gekennzeichnet ist", heisst es von einem weiteren Marktteilnehmer.

Der SMI sackt gegen 11.15 Uhr um 1,39 Prozent auf 11'425,42 Punkte. Vom Rekord Mitte August ist der Leitindex mittlerweile mehr als 1100 Zähler entfernt. Wie hoch die Nervosität der Investoren derzeit wieder ist, zeigt sich auch am Volatilitätsindex VSMI, der mit +12,4 Prozent wieder deutlicher anzieht.

Der SLI, in dem die 30 wichtigsten Aktien enthalten sind, verliert 1,68 Prozent auf 1843,73 und der breite SPI 1,47 Prozent auf 14'744,82 Zähler. Alle 30 SLI-Werte fallen.

Wie bereits in den letzten Wochen zu beobachten war, machen sich die steigenden US-Renditen speziell bei den sogenannten Wachstumsbranchen wie Technologie und Medtech negativ bemerkbar. Entsprechend führen Werte wie Sonova, AMS oder Temenos mit Abgaben zwischen 3,4 und 2,4 Prozent die Verliererlisten an.

Unter den grössten Verlierern sind auch die beiden Uhrenhersteller Richemont (-3,2%) und Swatch (-2,6%) zu finden. Beide Unternehmen sind stark vom asiatischen Markt abhängig. Zunehmende Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung in der Region belasten sie also überdurchschnittlich stark.

Doch auch wachstumssensible Titel stossen Investoren angesichts der derzeitigen Sorgen-Mischung ab. So trennen sie sich von Holcim, ABB oder auch Kühne+Nagel, die allesamt um mehr als 2 Prozent fallen.

Während im frühen Handel noch einige Finanzwerte etwas besser abgeschnitten hatten als der Gesamtmarkt, geht es mittlerweile für die gesamten Branchenvertreter abwärts. Mehr als 2 Prozent geben Julius Bär und Swiss Re nach, UBS und CS folgen dicht auf und auch Swiss Life, Partners Group und Zurich fallen mindestens mit dem Gesamtmarkt.

Unter Druck sind auch die Swisscom-Valoren (-2,1%) geraten. Händler verweisen auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Telekomkonzern den Ausbau des Glasfasernetzes stoppen muss.

Nicht so stark wie der Markt fallen die Anteilscheine von Schwergewicht Nestlé (-0,7%) und auch Roche (-1,0%) haten sich etwas besser als der Rest. Bei Roche hat eine Studie von Morgan Stanley für Gesprächsstoff gesorgt, in der es um das Marktpotenzial von Corona-Therapien geht, einem Markt mit einem Volumen von mehreren Milliarden US-Dollar.

In den hinteren Reihen wirft dies ein positives Licht auf die Anteilsscheine von Molecular Partners (+4,7%), die derzeit zusammen mit Novartis an einer solchen Therapie forschen. Mit Addex und Basilea gewinnen weitere Biotechs hinzu.

Gleichzeitig setzen Aryzta (-8,3%) ihren Abwärtstrend nach der kurzzeitigen Erholung am Vortag wieder fort. Comet (-7,2%) leiden unter den anhaltenden Sorgen um Lieferengpässe in der Chipindustrie.

hr/rw