FRANKFURT (dpa-AFX) - Der Start in die neue Börsenwoche steht ganz im Zeichen der entscheidenden Stichwahl um die französische Präsidentschaft. Auch wenn der als europa- und wirtschaftsfreundlich geltende Kandidat Emmanuel Macron zuletzt in Umfragen die Nase vorn hatte, scheint Sorglosigkeit fehl am Platz. "Es steht viel auf dem Spiel", schrieb Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. "Macron hat noch nicht gewonnen." Und selbst wenn er der nächste Präsident Frankreichs werden sollte, dürften die Aktienmärkte wohl kaum ein Feuerwerk der Begeisterung abbrennen - weil schon im Voraus ordentlich Vorschusslorbeeren verteilt wurden.

Im Prinzip sind es drei Szenarien, die die Anleger im Kopf haben sollten: Macron könnte klar gewinnen, knapp gewinnen oder verlieren. Aktuell sehen die Auguren ihn und nicht seine Herausforderin Marine Le Pen von der rechtspopulistischen Partei Front National deutlich im Pariser Elysee-Palast. In dem Fall könnte der Dax noch einmal zulegen, meint die Analystin Claudia Windt von der Landesbank Helaba. Temporär stützen könnten den deutschen Leitindex auch gute Daten zum Wirtschaftswachstum Deutschlands, die allerdings erst vor dem Wochenende anstehen.

GEWINNMITNAHMEN NACH RALLY DENKBAR

Das wäre dann aber Windt zufolge auch ein guter Zeitpunkt, um Gewinne mitzunehmen. Schließlich hätten die Finanzmärkte die französische Präsidentschaftswahl bereits gebührend gefeiert. So hatte Macrons Etappensieg bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vor knapp 2 Wochen schon eine veritable Rally in Gang gesetzt, die dem Dax auf neue Höhen getrieben hatte.

Auch der Börsianer Daniel Saurenz von Feingold Research äußerte sich skeptisch: "Der Markt muss die zahlreichen positiven Faktoren erst einmal verarbeiten, er muss sich setzen." Die Wahl Macrons könnte damit nicht das Einstiegssignal am Aktienmarkt sein, sondern vielmehr die Einleitung einer Konsolidierungspause. Wer im Markt drin sein wolle, der dürfte bereits gekauft haben.

BLICKE RICHTEN SICH AUF FRANZÖSISCHE PARLAMENTSWAHLEN

Die Anleger könnten auch angesichts der Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni bald wieder vorsichtiger werden. Es ist fraglich, ob Macron mit seiner jungen Bewegung "En Marche" auch im Parlament eine Mehrheit für seine Reformvorhaben erreichen wird. Möglicherweise sei er dann auf die Unterstützung der Republikaner angewiesen, schrieb Berenberg-Volkswirt Schmieding.

Die beiden anderen Szenarien sind zwar mehr oder weniger unwahrscheinlich, sollten aber dennoch im Auge behalten werden. Falls zum Beispiel Macron nur knapp siegt, müsste er wohl stärker auf die Sorgen der Le-Pen-Wähler eingehen, schrieb Dean Turner, Analyst bei der Vermögensverwaltungssparte der UBS. Damit könnten Börsianern zufolge Zweifel wachsen, ob der junge Hoffnungsträger wirklich die verkrusteten Strukturen in Frankreich aufbrechen könne. Für den Aktienmarkt wären das wohl keine guten Nachrichten.

SIEG LE PENS WÄRE EIN SCHWERER SCHLAG

Besonders schwer treffen dürfte die Aktienmärkte aber eine überraschende Niederlage Macrons. "Gewinnt Le Pen die Wahl, werden Frankreichs Börsen beben", schrieb Analyst Daniel Burgmann von der Ratingagentur Scope. Auch deutsche Anleger, die in europäische Aktien- und Rentenfonds investiert sind, würden die Turbulenzen spüren. Denn der Anteil französischer Werte an den europäisch ausgerichteten Fonds sei groß. Ungemach droht auch den anderen Börsen. Analyst Cedric Spahr von der schweizerischen Bank J. Safra Sarasin warnt vor einem Ausverkauf bei vielen kontinentaleuropäischen Aktien.

Auch ansonsten müssten sich die Anleger bei einem Sieg Le Pens warm anziehen. Der Politik- und Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein von der Berliner Hertie School of Governance sprach von einem hochexplosiven Szenario. "Es wäre wahrscheinlich, dass die Finanzmärkte innerhalb von 48 Stunden oder wenigen Tagen den Euro zerstören würden." Die Anleger würden aus französischen Staatsanleihen, aber auch aus Staatspapieren anderer Länder Südeuropas flüchten. "Wir wären wieder mitten in der Eurokrise", sagte Enderlein.

Ein Sieg Le Pens gilt als Schreckensszenario, weil die Mitgliedschaft in der Eurozone bisher noch von keiner Regierung in einem großen Mitgliedsland in Frage gestellt wurde. Daher hat die Wahl weitaus weitreichendere Konsequenzen als beispielsweise die Brexit-Entscheidung der Briten, bei der es im wesentlichen nur um Handelsfragen geht.

BERICHTSSAISON NOCH EINMAL AUF HOCHTOUREN

Sollte aber wie erwartet Macron am Sonntag gewinnen, dürften die Anleger schon bald zur Tagesordnung übergehen. Schon am Dienstag geht die Berichtssaison der Unternehmen in ihre letzte heiße Woche. Dann präsentieren mit der Commerzbank , dem Autozulieferer Continental , dem Versorger Eon und dem Rückversicherer Munich Re gleich vier Dax-Konzerne ihre Quartalszahlen. Hinzu kommen reichlich Unternehmen aus den hinteren Reihen.

Am Mittwoch informiert unter anderem der im Dax gelistete Baustoffkonzern HeidelbergCement über den Geschäftsverlauf in den ersten drei Monaten des Jahres. Die Agenda am Donnerstag ist dann wieder dichter gedrängt mit der Deutschen Telekom , der Deutschen Post und dem Konsumgüterproduzenten Henkel . Hinzu kommen die Medienkonzerne ProSiebenSat.1 und RTL . Am Freitag schauen die Anleger auf den Industriekonzern Thyssenkrupp und auf den Versorger Innogy , die Ökostromtochter von RWE ./la/mis/he

--- Von Lutz Alexander, dpa-AFX ---