-- Unions-Obmann: Politische Verantwortung trägt Scholz

-- SPD sieht Forderungen im Wahlkampf begründet

-- Ausschuss stellt "kollektives Aufsichtsversagen" fest

(NEU: weitere Aussagen, Hintergrund)

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Union und die Opposition haben im Wirecard-Skandal schwere Vorwürfe an die Adresse von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) gerichtet und eine Übernahme von Verantwortung eingefordert. Die SPD wies diese Vorwürfe allerdings zurück und sprach insbesondere mit Blick auf den Koalitionspartner Union von Wahlkampf. Der Untersuchungsausschuss hatte ein Jahr nach Bekanntwerden des Skandals am Morgen seinen Abschlussbericht an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) übergeben.

"Die politische Verantwortung trägt Bundesfinanzminister Olaf Scholz", sagte der Unions-Obmann in dem Ausschuss, Matthias Hauer (CDU), bei einer von mehreren Pressekonferenzen zur Vorstellung des Abschlussberichtes des Ausschusses. Darin werde ein "kollektives Aufsichtsversagen" festgestellt, sagte er. "Der Fall Wirecard ist ein Kriminalfall", hob Hauer hervor. Der Skandal sei auch "ein Zeugnis des Versagens von Abschlussprüfern".

Der Ausschuss-Vizevorsitzende Hans Michelbach (CSU) betonte, dass in dem Abschlussbericht die politische Verantwortung ausgespart werde, sei "bedauerliches Ergebnis unserer Koalition". Scholz solle von der SPD als Kanzlerkandidat weißgewaschen werden. Eine konkrete Rücktrittsaufforderung an die Adresse des Finanzministers wollten die Unions-Abgeordneten aber auf Nachfrage nicht erheben. Sie wiesen auch Mutmaßungen zurück, es handele sich bei ihren Vorwürfen nur um Wahlkampfmanöver. "Es muss auch möglich sein, politische Verantwortung zu benennen, ohne dass einem direkt Wahlkampfmotive unterstellt werden", sagte Hauer.


   SPD sieht keine Schuld bei Scholz 

Der SPD-Obmann in dem Ausschuss, Jens Zimmermann, sah die Anwürfe des gegenwärtigen Koalitionspartners Union dennoch durch den Wahlkampf begründet. Es sei "kein Zufall, dass mit der Veröffentlichung des Wahlprogramms die Union endgültig den Wahlkampf eingeleitet hat". Dies sei allerdings der großen Leistungen des Ausschusses "eher unwürdig". Auch die Aussagen der übrigen Fraktionen seien "96 Tage vor der Bundestagswahl keine Überraschung". Jedoch habe der Ausschuss trotz intensivster Bemühungen keine konkreten Versäumnisse des Finanzministers zu Tage gefördert.

"Ich sehe nicht, dass der Minister selbst die Chance gehabt hätte, diesen Skandal zu verhindern", erklärte er. Scholz habe mit der Einleitung einer Aufsichtsreform "sofort Verantwortung übernommen". Der Fall Wirecard sei "ein Wirtschaftskrimi mit vielen Kapiteln", und die Erkenntnisse des Ausschusses würden "Eingang in vielen zivilrechtlichen Prozessen" finden. Die SPD-Finanzpolitikerin Cansel Kiziltepe betonte, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hätte den Bilanzbetrug "erkennen können und müssen". Bei der Aufklärung sei man aber auf massiven Widerstand gestoßen.

Die Oppositionsfraktionen von FDP, Linker und Grüner haben in einem Sondervotum ebenfalls ein "kollektives Aufsichtsversagen" festgestellt und gleichfalls Scholz die Verantwortung zugewiesen: "Olaf Scholz trägt als Finanzminister die politische Verantwortung für das Versagen der Bafin." Die im Ausschuss gewonnenen Erkenntnisse könnten "nun in die Sammelklagen von Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern einfließen".

FDP-Finanzsprecher Florian Toncar betonte, "dass der Wirecard-Skandal in der Größenordnung verhinderbar gewesen wäre". Man hätte ihn viel früher erkennen können, denn der Betrug sei nicht so perfekt organisiert gewesen, wie gerne behauptet werde. Die politische Verantwortung liege bei Scholz, doch alle in dem Ausschuss befragten Regierungsmitglieder hätten sich "nicht einmal zu einer lauen Form der Selbstkritik" bewegen lassen. Diese Art politischer Führung passe "eigentlich nicht mehr ins 21. Jahrhundert", meinte er.


AfD fordert Rücktritt von Scholz 

Die AfD-Fraktion, deren Finanzexperte Kay Gottschalk den Ausschuss leitete, forderte in einem eigenen Sondervotum Scholz' Rücktritt. "Herr Scholz muss zurücktreten", sagte Gottschalk. Er kritisierte eine "Pattexhaftkraft vieler Politiker", die heutzutage einfach an ihren Stühlen klebten. Auch monierte Gottschalk, dass es entgegen dem Vorschlag der AfD nicht noch zu einer Sondersitzung des Ausschusses im September komme. Die Untersuchungen zu Wirecard würden "ein Fortsetzungsroman", erwartete auch er.

Der Untersuchungsausschuss sollte die Rolle von Politik und Aufsichtsbehörden in dem Skandal untersuchen. Scholz hatte bei seiner Anhörung in dem Ausschuss Ende April den gegen ihn gerichteten Vorwurf eigener Verantwortung aber zurückgewiesen. "Die Verantwortung für diesen groß angelegten kriminellen Betrug trägt nicht die Bundesregierung", hatte er erklärt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war in dem Ausschuss vernommen worden. Dabei ging es um ihre Rolle wegen des Engagements für Wirecard bei einer China-Reise, vor der sich Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als Berater bei ihr persönlich für Wirecard eingesetzt hatte.

Bei dem damaligen DAX-Unternehmen Wirecard waren im Juni 2020 Luftbuchungen von fast 2 Milliarden Euro öffentlich geworden, es befindet sich mittlerweile in einem Insolvenzverfahren. Ex-CEO Markus Braun sitzt inzwischen in Haft, Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek ist flüchtig. Braun hatte bei seiner Vernehmung in dem Ausschuss ein Statement verlesen und keinerlei weiterführende Fragen beantwortet. Guttenberg hatte sich bei seiner Vernehmung als Opfer einer Täuschung dargestellt.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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June 22, 2021 09:42 ET (13:42 GMT)