München (Reuters) - Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffe hält die jüngsten Theorien des ehemaligen Vorstandschefs Markus Braun zum vorgeblichen Drittpartner-Geschäft des Zahlungsabwicklers in Asien für abwegig.

"Dass Wirecard reales Geschäft 'gestohlen' worden sein könnte, also solches, das zuvor bei Wirecard selbst in nennenswertem Umfang betrieben worden wäre, ist bislang nicht ersichtlich, schon weil es gar keine Strukturen und Ressourcen gab, mit denen ein solches Geschäft betrieben worden sein könnte", heißt es im jüngsten Sachstandsbericht Jaffes an die Gläubiger von Wirecard, der der Nachrichtenagentur Reuters seit Donnerstag vorliegt.

Brauns Anwalt Alfred Dierlamm hatte im Betrugsprozess um die Pleite von Wirecard zuletzt vorgebracht, der flüchtige Wirecard-Vorstand Jan Marsalek und der mitangeklagte Asien-Statthalter Oliver Bellenhaus hätten das lukrative Geschäft mit Partnern in Asien zu anderen Dienstleistern umgeleitet und sich selbst daran bereichert. Zuvor warf er ihnen vor, die Erlöse aus dem Geschäft ohne sein Wissen abgezweigt zu haben. 1,9 Milliarden Euro an Provisionen, die laut der Bilanz von Wirecard auf Treuhandkonten in Asien liegen sollten, hatten sich 2020 als nichtexistent entpuppt. Wirecard musste daraufhin Insolvenz anmelden.

Es sei nicht plausibel, wie das gesamte Geschäft umgeleitet hätte werden können, "ohne auch nur irgendeine Spur im Unternehmen zu hinterlassen", schreibt Jaffe an die Gläubiger. Die Daten seien dahingehend sehr sorgfältig ausgewertet worden. Er glaubt vielmehr - wie auch die Staatsanwaltsschaft -, dass es nie existiert hat. Es gebe keine Nachweise, dass Wirecard jemals Händler an Drittpartner vermittelt hätte, die die Zahlungen im Auftrag abgewickelt hätten. Auch von der Insolvenzverwaltung befragten Mitarbeiter hätten sich nicht daran erinnert, dass ein Händler an einen der angeblichen Partner vermittelt worden sei, heißt es in dem Bericht.

Jaffe hält die Wirtschaftsprüfer von EY für mitschuld daran, dass die jahrelangen Betrügereien bei Wirecard nicht früher aufgedeckt wurden. Kurz vor Weihachten war bekannt geworden, dass der Insolvenzverwalter die Bilanzprüfer deshalb auf Schadenersatz verklagt hat. Insidern zufolge geht es um eine Milliardensumme. Aufgabe des Insolvenzverwalters ist es, für die Gläubiger möglichst viel Geld herauszuholen. Sie haben nach der Pleite Milliardenforderungen gegen den ehemaligen Börsenstar angemeldet.

Wie aus dem Sachstandsbericht hervorgeht, hat Jaffe auch die US-Investmentbank Citi vor dem Landgericht München I auf 140 Millionen Euro verklagt. Sie hatte wenige Monate vor der Insolvenz einen Aktienrückkauf für Wirecard abgewickelt. Doch Wirecard hätte sich den Rückkauf zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht mehr leisten können, argumentiert Jaffe in der Klage. Das "stellt einen Verstoß gegen aktienrechtliche Vorschriften dar, der wiederum zur Nichtigkeit der abgeschlossenen schuldrechtlichen Vereinbarungen führt", heißt es in seinem Bericht. Die Bank habe die Ansprüche zurückgewiesen, weshalb er nun Klage eingereicht habe, um eine Verjährung zu verhindern.

Auch der ehemalige Finanzvorstand Burkhard Ley soll Geld an den Insolvenzverwalter zurückzahlen, wie aus dem Sachstandsbericht hervorgeht. Jaffe fordert 815.000 Euro, die Ley 2020 von Wirecard bekommen habe, obwohl sein Beratervertrag Ende 2019 ausgelaufen sei. Die Staatsanwaltschaft München hatte Mitte Dezember Anklage gegen Ley erhoben. Sie wirft ihm unter anderem Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Betrug und Untreue vor, in seiner Zeit als Finanzvorstand (bis 2017) und später als Berater.

(Bericht von Alexander Hübner, redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)