BERLIN (dpa-AFX) - Vor dem Start in Koalitionsverhandlungen beansprucht die SPD noch Zeit für interne Beratungen. Sie müsse weiter klären, "auf welcher Grundlage, welcher strukturellen und auch mit welcher personellen Zusammensetzung" sie in die anstehenden Gespräche mit der Union gehe, sagte SPD-Chef Martin Schulz am Montag in Berlin nach einer Sitzung der Bundestagsfraktion.

Am Abend wollte er sich mit den Parteichefs von CDU und CSU, Kanzlerin Angela Merkel und Horst Seehofer, treffen und über den weiteren Ablauf sprechen. Ob danach ein Zeitplan feststeht, war zunächst unklar. Die Koalitionsverhandlungen sollen diese Woche beginnen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte bei seinem Antrittsbesuch in Hamburg, die Entscheidung über eine Regierungsbildung liege zwar bei den Parteien. "Ganz unabhängig davon spüren wir alle, dass die Menschen in Deutschland erwarten, dass jetzt mehr als vier Monate nach der Bundestagswahl wieder eine Regierung zustande kommt."

Schulz beharrte darauf, dass seine Partei manche Themen aus den Sondierungen trotz Bedenken der Union bei den Koalitionsverhandlungen erneut ansprechen will. "Wenn Verhandlungen jetzt beginnen, wird auch nicht "nachverhandelt", sondern wird ein Verhandlungsbeginn gestartet. Und wir werden über alle Themen, die wir während der Sondierungen angesprochen haben, jetzt erneut reden", sagte er.

Der SPD-Sonderparteitag in Bonn hatte am Sonntag Verhandlungen über eine Neuauflage der großen Koalition zwar knapp gebilligt, die SPD-Führung aber aufgefordert, noch mehrere Punkte durchzusetzen: die Abschaffung grundlos befristeter Arbeitsverhältnisse, die Überwindung der "Zwei-Klassen-Medizin" und eine "weitergehende Härtefallregelung" für den Familiennachzug von Flüchtlingen.

Unionsvertreter dämpften daraufhin erneut Hoffnungen auf substanzielle Zugeständnisse. "Man kann jetzt nicht das, was besprochen worden ist, wieder in Frage stellen", sagte Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) der "Bild"-Zeitung. Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) warnte im Südwestrundfunk (SWR): "Wer jetzt versucht, einzelne Teile wieder komplett aufzumachen, der macht das gesamte Paket wieder auf."

Andere Unionspolitiker deuteten aber Entgegenkommen an, etwa beim Thema befristete Arbeitsverträge und Flüchtlingsnachzug. So zeigte sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) offen für eine Härtefall-Regelung beim Familiennachzug. "Über Härtefälle wird man im Detail immer sprechen können", sagte er im Deutschlandfunk. "Härtefall heißt ja wirklich: in einem ganz engen, begrenzten Maße, für diejenigen, die in allergrößter Not sind."

CDU, CSU und SPD hatten in den Sondierungen vereinbart, dass der Zuzug von Flüchtlingen die Zahl von 180 000 bis 220 000 pro Jahr nicht überschreiten soll. Der Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus soll auf 1000 Menschen pro Monat begrenzt werden. Betroffen ist, wer nicht als politisch verfolgt oder schutzberechtigt im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gilt, im Herkunftsland aber trotzdem ernsthaft gefährdet wäre.

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner hält Verbesserungen für gesetzlich Versicherte denkbar, wenn sie lange oder gar vergeblich auf einen Arzttermin warten müssen. Im ARD-"Morgenmagazin" fügte sie hinzu: "Aber wir werden nicht einer Zwangsvereinigung mit einer Einheitskasse das Wort reden." Beim in der SPD heiß diskutierten Thema befristete Arbeitsverträge verlangte die Rheinland-Pfälzerin, dass zunächst etwa die SPD-geführte Mainzer Landesregierung Kettenarbeitsverträge bei Lehrern beendet.

Mit der Befristung von immer mehr Jobs wird aus Sicht der SPD unternehmerisches Risiko auf Arbeitnehmer ausgelagert und der Kündigungsschutz ausgehebelt.

Die Bürger bewerten das knappe Ja der SPD zu förmlichen Koalitionsverhandlungen mit der Union laut einer Umfrage überwiegend skeptisch. Gut 51 Prozent beurteilen den Beschluss "eher negativ" oder sogar "sehr negativ", wie eine Erhebung des Civey-Instituts für "Spiegel Online" ergab. Zu einem "eher positiven" oder "sehr positiven" Votum kamen rund 40 Prozent der gut 5100 online Befragten./hrz/abc/seb/toz/amr/hal/DP/jha