Von Jinjoo Lee

NEW YORK (Dow Jones)--In einer Welt des "aufstrebenden" Luxus ist Erschwinglichkeit schwer zu verkaufen. Das war natürlich nicht der Grund, den Tapestry, Eigner der Lederwaren-Marke Coach, dafür nannte, dass er Capri Holdings übernehmen will, der das relativ preisgünstige Label Michael Kors sowie die High-End-Marken Versace und Jimmy Choo gehören. Aber das Wachstum in der Kategorie günstiger Luxuskategorie ist unbestreitbar hinter dem hohen Wachstum der High-End-Konkurrenz zurückgeblieben. Und weil die Kernkundschaft - also Menschen mit einem Einkommen deutlich über Durchschnitt, aber weit unter dem obersten einen Prozent - finanziell unter Druck stehen, scheint Wachstum ohne Größe schwierig zu sein.

Tapestry-CFO Scott Roe hat in einem Interview erklärt, dass er den Begriff "erschwinglicher Luxus" nicht mehr für relevant hält. Verbraucher seien bereit seien, beim Einkauf von Luxusartikeln "im Spektrum rauf und runter" zu gehen. "In der Sicht der Verbraucher fällt die Entscheidung bei bestimmten Artikeln für Louis Vuitton und bei anderen für Michael Kors", sagte er. Es gehe weniger um den Preis als vielmehr um die emotionale Verbindung.

Das mag so sein, trotzdem reichten Emotionen in den zurückliegenden Jahren nicht, um Luxusmarken des mittleren Preissegments zu tragen. Laut Daten von Euromonitor schmolz der Marktanteil bei teuren Lederwaren von Tapestry zwischen 2017 und 2022 von 9,6 Prozent auf 7,6 Prozent. Der Anteil von Capri Holdings fiel von 8,6 Prozent auf 7,2 Prozent. Auch Tory Burch und Ralph Lauren verloren jeweils Marktanteile.

Anbietern von High-End-Taschen erging es viel besser. Louis-Vuitton-Eigentümer LVMH konnte seinen Anteil am weltweiten Markt für Luxuslederwaren zwischen 2017 und 2022 von 22 Prozent auf 29 Prozent ausbauen. Gucci-Eigentümer Kering, der zweitgrößte Anbieter am Markt, steigerte seinen Anteil von 15 Prozent auf 18 Prozent. Das Gleiche gilt für Hermès und Chanel, die Nummer drei und vier unter den Anbietern teurer, hochwertiger Taschen. Investoren mit Engagement bei High-End-Herstellern wie Prada und Kering haben in den vergangenen fünf Jahren Gesamtrenditen von 57 Prozent und 18 Prozent erzielt; diejenigen, die Aktien von Tapestry und Capri halten, büßten dagegen 25 Prozent und 31 Prozent ein.


 Den Schweizern werden vornehmlich teure Uhren aus der Hand gerissen 

Das Phänomen ist nicht auf Taschen beschränkt. Laut dem Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie FH ging das Exportvolumen von eidgenössischen Uhren in der Preiskategorie 3.000 Schweizer Franken - also knapp 3.140 Euro - oder mehr zwischen 2019 und 2022 um 27 Prozent in die Höhe. Uhrenverkäufe im Preissegment zwischen 200 und 500 Franken rauschten dagegen um 45 Prozent in den Keller, was jedoch zum Teil auf die Konkurrenz durch Smartwatches in einer ähnlichen Preisklasse zurückzuführen ist.

Ein offensichtlicher Grund dafür ist, dass die europäischen Luxuskonzerne, die die Kontrolle über High-End-Marken haben, einfach größer sind. Damit verfügen sie über die Möglichkeit, viel Geld auszugeben, um die bekanntesten Prominenten für ihre Werbekampagnen zu gewinnen und Geschäfte in den besten Lagen zu eröffnen. Darüber hinaus ist der Luxusmarkt im oberen Preissegment viel stärker konsolidiert. Fflur Roberts, die Leiterin Luxusgüter bei Marktforschungsunternehmen Euromonitor, hält den Markt im mittleren Preissegment für viel wettbewerbsintensiver. Besonders gelte dies für die Generation Z. Hier bevorzugten die Käufer kleinere, nischenorientierte Marken.

Eine weitere Erklärung ist die zunehmende Tendenz, dass Verbraucher weniger kaufen, dafür aber Waren von besserer Qualität. Während der Pandemie hätten zahlungskräftige Kunden Luxusgüter als Form des Werterhalts Aktien und anderen Anlagen, die möglicherweise mit mehr Unsicherheit verbunden sein könnten, vorgezogen, sagte Roberts.

Resale-Plattformen im Internet wie The Realreal haben dies einfacher gemacht, ebenso wie Websites, auf denen Luxuswaren gegen eine Gebühr gemietet werden können. Das begünstigt natürlich High-End-Marken, die ihren Wert behalten - und in manchen Fällen sogar steigern können. Bei The RealReal schoss der Gesamtwert aller Transaktionen zwischen 2019 und 2022 um 84 Prozent nach oben.

Mittlerweile schätzen die Kernkunden des Segments erschwinglicher Luxus durchaus ein gutes Schnäppchen. Das macht es für die Anbieter schwierig, den effektivsten Punkt bei der Vermarktung zwischen Preis und Volumen zu finden. Sowohl Michael Kors als auch Coach haben sich in der Vergangenheit zu sehr auf das Volumen verlassen, was zu Preisnachlässen geführt und die Marken dem Niedrigpreissegment ausgesetzt hat.


 Europas Luxuskonzerne sind oft in Familienhand und deswegen langfristig orientiert 

Was das Thema Volumen besonders schwierig macht, ist der Umstand, dass Unternehmen wie Tapestry und Capri Holdings von einer Anlegerbewertung im Vierteljahresrhythmus beeinflusst sind. Anders die europäischen Luxuskonzerne, die zwar auch börsennotiert sind, aber von Familien kontrolliert werden. Sie können deshalb Entscheidungen treffen, die auf die Langlebigkeit der Marke ausgerichtet sind und nicht auf kurzfristige Verkaufszahlen schielen.

Auch für Käufer günstiger Luxusgüter sieht es derzeit nicht gut aus. Die Zielgruppe von Tapestry verfügt über ein durchschnittliches Haushaltseinkommen von rund 100.000 US-Dollar. Sie hat in den vergangenen vier Jahren nur dürftige Lohnzuwächse verzeichnet. Laut Daten des Bank of America Institute verzeichneten diejenigen, die mehr als 125.000 Dollar verdienten, im Juli nur einen Anstieg von 0,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Gegensatz dazu freuten sich diejenigen, die weniger als 50.000 Dollar bekommen, über ein Gehaltsplus von 2,8 Prozent. Und Haushalte mit einem Einkommen von mindestens 150.000 Dollar verzeichneten im Vergleich zum Niveau von 2019 die geringsten Zuwächse. Dies beeinträchtigt zwar nicht ihre Zahlungsfähigkeit bei lebensnotwendigen Dingen, bedeutet aber, dass sie bei verzichtbaren Einkäufen wohl wählerischer werden dürften.

Europäische Luxuskonzerne wie der Gucci-Eigner Kering und LVMH erklärten im vergangenen Monat, dass sich Artikel aus dem "aufstrebenden" Preissegment nicht so gut verkaufen wie die aus der Spitzenklasse. Während Euromonitor für den gesamten Luxusmarkt von einem jährlichen Wachstum im mittleren einstelligen Prozentbereich ausgeht, schätzt Bernstein-Aktienanalystin Aneesha Sherman, dass das Segment der erschwinglichen Luxusgüter wahrscheinlich um einen niedrigen einstelligen Prozentsatz wächst. Eine Bündelung der Kräfte ist womöglich der einzige Weg, diesen dürftigen Prognosen zu entgehen.

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August 25, 2023 10:25 ET (14:25 GMT)