(Im 9. Absatz, letzter Satz wurde das fehlende Wort "sprach" eingefügt.)

TEL AVIV (dpa-AFX) - Vor der erwarteten Bodenoffensive im Gazastreifen als Reaktion auf Hamas-Gräuel hat das israelische Militär mehr als eine Million Palästinenser zur Evakuierung aufgefordert. "Das Militär ruft alle Zivilisten von Gaza-Stadt auf, ihre Häuser zu ihrer eigenen Sicherheit und zu ihrem Schutz Richtung Süden zu verlassen", sagte Armee-Sprecher Jonathan Conricus am Freitag. Die Menschen sollten sich in ein Gebiet südlich des Wadis Gaza begeben, der etwa in der Mitte des nur 40 Kilometer langen Gebiets liegt. Augenzeugen berichteten von Panik unter der Bevölkerung. In mehreren islamischen Ländern demonstrierten Tausende für die Palästinenser.

Menschen ergreifen die Flucht

Im Fernsehen war zu sehen, wie Menschen in Autos, auf Lastwagen, mit Eselskarren und zu Fuß auf der einzigen Hauptstraße des Gazastreifens Richtung Süden unterwegs waren. Das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) warnte, der Küstenstreifen werde angesichts der massiven Luftangriffe und der Abriegelung zu einem "Höllenloch und steht am Rande des Zusammenbruchs".

Die Vereinten Nationen forderten Israel auf, die Anweisung zur Evakuierung zu widerrufen. Es drohe eine "katastrophale Situation", sagte ein UN-Sprecher. Es war völlig unklar, wo die vielen Menschen im Süden des Gazastreifens bleiben und versorgt werden sollten.

Baerbock: "Wir sind alle Israelis"

Außenministerin Annalena Baerbock traf in Israel ein, um ihre Solidarität mit dem Land zu zeigen. "In diesen schrecklichen Tagen stehen wir an Ihrer Seite und fühlen mit Ihnen. In diesen Tagen sind wir alle Israelis", sagte die Grünen-Politikerin bei einem Treffen mit ihrem israelischen Kollegen Eli Cohen in Netivot in der Nähe der Grenze zum Gaza-Streifen. "Ich möchte unsere tiefste Solidarität seitens der deutschen Regierung, aber auch der deutschen Bevölkerung zum Ausdruck bringen."

Zehntausende demonstrieren in islamischen Ländern für Palästinenser

In überwiegend islamisch geprägten Ländern wie Ägypten, Jordanien, dem Irak, Pakistan oder dem Jemen wurde für die Rechte der Palästinenser demonstriert. So schwenkten bei landesweiten Kundgebungen Demonstranten in Pakistan palästinensische Flaggen und skandierten Protestslogans gegen Israel, wie auf Fernsehbildern zu sehen war. Der Vorsitzende der einflussreichen islamistischen Partei Jamaat-e-Islami, Sirajul Haq, sagte vor aufgebrachten Anhängern in der Millionenstadt Lahore: "Wir sind zu jedem Opfer bereit und werden weiterhin die muslimischen Brüder und Schwestern in Palästina unterstützen."

Luxemburgs Außenminister kritisiert Israel

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn reagierte mit Kritik auf die israelische Evakuierungs-Aufforderung. Diese Anordnung sei "äußerst beunruhigend", stand in einer am Freitag veröffentlichten Erklärung des Ministers. Er verwies auf die Mahnung der Vereinten Nationen, dass eine solche Maßnahme "nicht ohne verheerende humanitäre Folgen" möglich sei. Asselborn verurteilte die "abscheulichen Angriffe" der Hamas, bekräftigte das Recht Israels auf Selbstverteidigung und forderte die bedingungslose Freilassung der Geiseln.

Palästinenser: Neun Tote bei Konfrontationen im Westjordanland

Auch im israelisch besetzten Westjordanland kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Palästinenser und israelischen Sicherheitskräften. Nach palästinensischen Angaben wurden neun Palästinenser getötet und mehr als 30 verletzt. Das israelische Militär äußerte sich zunächst nicht. Unklar war auch, ob unter den Toten Mitglieder militanter Gruppierung waren.

Viele Bilder und Augenzeugenberichte über Hamas-Massaker in Israel

Nach dem Massaker an Israelis im Grenzgebiet zum Gazastreifen kommen immer mehr schockierende Bilder von den Opfern der Gräueltaten und erschütternde Augenzeugenberichte ans Licht. Israelische Sprecher teilten am Freitag Fotos, die das Büro des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu freigegeben und auf X veröffentlicht hatte. Darunter sind auch Bilder von grausam ermordeten und verbrannten Kindern und enthaupteten Menschen.

Diese waren am Donnerstag auch dem US-Außenminister Antony Blinken gezeigt worden. Auf X waren sie hinter einer Schranke mit Altersbeschränkung. Hunderte Hamas-Terroristen waren vergangenen Samstag in Israel eingedrungen und hatten dort in Grenzorten und bei einem Musikfestival ein Massaker angerichtet. Insgesamt töteten sie mehr als 1300 Israelis und verletzten 3000. Netanjahu sprach vom "grauenhaftesten Tag seit dem Holocaust".

Frist von 24 Stunden von Israel zunächst nicht bestätigt

Die UN-Angabe, Israel habe für die Evakuierung eine Frist von 24 Stunden gesetzt, wurde von der Armee zunächst nicht bestätigt. Deren Mitteilung enthielt keine Zeitangabe. Armeesprecher Conricus sagte nur: "Uns ist klar, dass das Zeit in Anspruch nimmt, das ist keine einfache Aktion." Der Aufruf wird als Hinweis auf eine bevorstehende Bodenoffensive in den Gazastreifen gewertet. Militärsprecher Daniel Hagari sagte, es sei Israel klar, dass eine Evakuierung mehr als 24 Stunden dauern würde. Er nannte aber keinen klaren Zeitrahmen.

WHO: Für Schwerkranke kommt Evakuierung einem Todesurteil gleich

Ein Sprecher der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wies in Genf darauf hin, dass die Verlegung von schwer kranken und schwer verletzten Patienten aus dem nördlichen Gazastreifen unmöglich sei. "Solche Menschen zu transportieren, kommt einem Todesurteil gleich", sagte Sprecher Tarik Jasarevic.

Bei israelischen Gegenschlägen nach dem blutigsten Angriff auf das Land seit dessen Gründung 1948 starben bisher im Gazastreifen nach Angaben des Gesundheitsministeriums mindestens 1799 Menschen, 7388 wurden verletzt. Die Krankenhäuser, denen der Strom ausgeht, sind nach Angaben der Gesundheitsbehörden überfüllt. Medikamente würden ebenso wie Trinkwasser, Treibstoff und Nahrungsmittel wegen der Abriegelung durch Israel knapp.

Hamas behauptet: 13 Geiseln bei israelischen Luftangriffen getötet

Nach Angaben des militärischen Arms der Hamas im Gazastreifen sollen 13 der rund 150 aus Israel verschleppten Geiseln bei israelischen Luftangriffen getötet worden sein. Darunter sollen auch ausländische Staatsangehörige sein, behaupteten die Al-Kassam-Brigaden in einer Stellungnahme am Freitag. Unabhängig konnten diese Angaben nicht überprüft werden. Die israelische Armee wollte den Bericht prüfen.

Israelische Armee setzt Luftangriffe fort

Die israelische Luftwaffe setzte auch in der Nacht ihre Luftangriffe fort. Dutzende Kampfflugzeuge hätten 750 militärische Ziele angegriffen, teilte Israels Militär mit. Zu den angegriffenen Zielen gehörten unterirdische Tunnel, militärische Einrichtungen, Wohnsitze hochrangiger Terroristen, die als militärische Kommandozentralen genutzt würden sowie Waffenlager./ro/DP/men