PARIS/LONDON (awp international) - Europas Börsen haben am Donnerstag die schwächeren Vorgaben der Wall Street ignoriert und vor dem Leitzinsentscheid der Europäischen Zentralbank (EZB) kleinere Gewinne verbucht. Am Markt wird erwartet, dass die Währungshüter im Kampf gegen die Folgen der Corona-Pandemie die Geldpolitik noch weiter lockern werden. Die Hoffnung der Börsianer auf eine Einigung im Brexit-Streit wurde hingegen abermals auf die Probe gestellt.

Der EuroStoxx 50 notierte zuletzt 0,29 Prozent höher bei 3539,30 Punkten. Der französische Cac 40 in Paris und der FTSE 100 in London konnten noch etwas stärker zulegen.

Zur Wochenmitte war der europäische Leitindex auf den höchsten Stand seit Ende Februar - und damit kurz vor dem Corona-Crash - gestiegen, hatte die Gewinne aber bis zum Abend nicht halten können. Auch an der Wall Street hatten die Anleger die Kurse am Mittwoch auf neue Höchststände getrieben, später dann aber reichlich Kasse gemacht. Der Dow Jones Industrial hatte nach seinem neuerlichen Rekord die Handelssitzung mit einem kleinen Verlust beendet. Die Nasdaq jedoch war von Techgiganten wie Apple und Microsoft tief ins Minus gerissen worden.

Trotz des Dämpfers aus dem US-Handel zeige sich die Stimmung an Europas Börsen angesichts anhaltend guter Impfstoff-Nachrichten derzeit gefestigt, schrieb Börsenbeobachter Neil Weilson von Markets.com. Selbst die Zitterpartie bei den Brexit-Gesprächen bremse diese Zuversicht nicht, so der Experte. Der erhoffte Durchbruch beim Spitzentreffen von Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war ausgeblieben. Nun haben sich die EU und Grossbritannien im Ringen um einen Brexit-Handelspakt eine letzte Frist bis Sonntagabend gesetzt. Die Marktteilnehmer sind laut Wilson noch immer auf beide Möglichkeiten eingestellt: ein Austritt ohne, aber auch mit Handelsabkommen.

Ökonomen erwarten unterdessen von der EZB bei ihrem bevorstehenden Auftritt ein neues Massnahmenpaket. Notenbankchefin Christine Lagarde hatte bereits auf der letzten Sitzung im Oktober eine "Rekalibrierung" der Geldpolitik angekündigt.

Auf Unternehmensseite standen europaweit kurz vor dem Mittag Einzelhandelsaktien am deutlichsten unter Druck. Nahrungsmittelhersteller konnten dagegen am stärksten zulegen.

Unter den Einzelwerten standen die Papiere des Optik-Einzelhändlers Grandvision im Fokus. Die Sorge vor einer scheiternden Übernahme drückte sie mit rund drei Prozent ins Minus. Der französisch-italienische Brillenkonzern EssilorLuxottica überdenkt offenbar die milliardenschwere Übernahme des niederländischen Unternehmens, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg zuvor unter Berufung auf informierte Kreise berichtet hatte. Papiere von EssilorLuxottica traten zuletzt auf der Stelle.

In London sackten Anteile des Touristikkonzerns Tui nach Zahlen um rund eineinhalb Prozent ab. Die schwindenden Buchungen in der Corona-Krise hatten den weltgrössten Reiseanbieter im vergangenen Geschäftsjahr einen Verlust von mehr als 3,1 Milliarden Euro eingebrockt. Im Tagesgeschäft habe der Konzern noch schlechter ab als ohnehin befürchtet, schrieben mehrere Analysten./tav/jha/