FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Fondsmanager Peeters blickt zurück auf ein bewegtes Börsenjahr und prüft, ob der derzeitige "Aktien-Boom" Parallelen zum Jahr 2000 aufweist.

29. Dezember 2020. FRANKFURT (pfp Advisory). Nun ist es fast um, das ganz sicher nicht besonders beliebte, aber zweifelsohne spektakuläre Jahr 2020 und wie jedes Jahr zu dieser Zeit stellt sich die Frage, was denn "bleiben" - gemeint ist in den Gedächtnissen - wird. Allgemein dürfte die Corona-Pandemie mit all ihren Konsequenzen wie etwa massiven Einschränkungen von wirtschaftlicher Tätigkeit bis hin zu vor zwölf Monaten praktisch unvorstellbaren gesellschaftlichen Konsequenzen wie Ausgangssperren alles überlagern.

Dies wohl auch beim Rückblick auf die Märkte mit zwei wichtigen Anmerkungen: 1. sorgten hier die massiven Gegenmaßnahmen von Staaten und Notenbanken mit ebenfalls noch nicht gesehener "deficit spending"-Politik und de-facto-Finanzierung über die riesig anschwellenden Bilanzen der Notenbanken für eine komplette Umkehr der Baisse aus dem Frühjahr. Ironie des Schicksals: Ganz kurz vor Jahresultimo scheint beispielsweise der Deutsche Aktienindex DAX das Jahr mit einem leichten Plus von wenigen Prozenten ausgerechnet dieses Jahr unter der dem Strich so unspektakulär abzuschließen, dass 2020 später von dieser Warte kaum in den Chroniken auffallen sollte. 2. sollte nicht vergessen werden, dass es eine Vielzahl anderer spektakulärer Geschehnisse an den Märkten gab, die ebenfalls historischen Charakter haben, etwa der in seiner Dimension unfassbare Wirecard-Skandal oder auch der neue Trading-Boom, gerade bei vielen neuen, oftmals jungen Anlegern. Dieser Aufschwung manifestiert sich in etlichen neu eröffneten Depots, oftmals bei so genannten Neobrokern mit schlanken Prozessen und günstigen Gebühren. Gekauft werden besonders gerne gut laufende Tech-Werte wie Tesla oder innovative Anlageformen wie Kryptowährungen.

Den Hype finde ich ausgesprochen interessant, gerade subjektiv aus Sicht von jemanden, der seit rund einem Vierteljahrhundert professionell im Aktiengeschäft tätig ist und dessen erste prägende Erfahrung in diesem Umfeld der Aufstieg und Fall des Neuen Marktes bzw. der Tech-Börsen insgesamt zu dieser Zeit war. Ähnlich wie heute schossen vor allem die Kurse der Unternehmen mit einem als ausgesprochen innovativ geltenden Geschäftsmodell in atemberaubende Höhen. Was heute E-Mobility oder Wasserstoffaktien sind, waren damals etwa Internetportale oder Netzwerkbetreiber. Cisco Systems etwa wurde das höchst kapitalisierte Unternehmen der Welt. Hierzulande waren Firmen wie Mobilcom, EM.TV oder Intershop beliebte Highflyer und boten ähnlichen Gesprächsstoff wie heute eine Nikola oder der Bitcoin. Biotech ging damals wie heute und branchenübergreifend spielte Bewertung nur eine sehr reduzierte Rolle in den Köpfen der Anleger.

Das verwundert nicht, wenn einem der Erfolg Recht gibt. In den Rennlisten der höchsten Renditen dominierten damals auf Tech und Neuer Markt fokussierte Fonds, nun sind es Vehikel, die voll auf Digitalisierung oder alternative Antriebstechniken setzen. Die Begeisterung für diese Anlagemöglichkeiten wird noch durch einen anderen Faktor begünstigt. Der Lockdown im Frühjahr führte dazu, dass sich viele Menschen erstmals die Zeit nahmen, sich mit Geldanlagen zu beschäftigen, hier ist die Parallele der massiv beworbene Börsengang der Deutschen Telekom im November 1996. Damals wie heute machten viele "Neulinge" gleich zwei prägende Erfahrungen: Sie starteten in einem "Bullen-Markt" und verbuchten ganz überwiegend Gewinne und diese waren besonders hoch, wenn massiv auf Risiko gesetzt wurde.

Man kann im Sinne der Anleger hoffen, dass hier die Parallelen enden und den Investoren ein ähnlicher dramatischer, langwieriger Drawdown wie es ihn vom Frühjahr 2000 bis zum Frühjahr 2003 in Deutschland gab, erspart bleibt, zumindest in der Breite. Denn dieser schnelle Ablauf von "Himmelhoch jauchzend" zu "zu Tode betrübt" kann Investoren dramatisch das Interesse an Geldanlagen verderben in Zeiten, in denen individuelle Vorsorgeinvestitionen so wichtig sind wie selten zuvor.

Bleiben werden auch diesmal meiner Ansicht nach genauso wie 2000 viele neue Technologien samt der stärksten (!) ihrer führenden Firmen. Ob die verbleibenden Firmen in die Bewertung reinwachsen wie das etwa einer Amazon nach dem ersten Hype 2000 gelungen ist oder ob die Höchststände noch sehr lange unerreichbar scheinen wie es etwa bei der Deutschen Telekom Stand heute unverändert der Fall ist, wird sich im Einzelfall zeigen. Mitunter recht hoch zweistellige Multiples auf den Umsatz aber waren in der Breite noch nie dauerhaft in der bisherigen Geschichte der organisierten Märkte. Von daher sollte jeder in der Euphorie des späten Jahres 2020 auch mal an 2000 denken, gleich ob er dabei war oder nicht. Geschichte wiederholt sich vielleicht nicht, aber sie reimt sich.

von Roger Peeters,

29. Dezember 2020, © pfp Adivisory

Über den Autor:

Roger Peeters ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Christoph Frank steuert der seit über 20 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow Fonds (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds. Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Peeters ist weiterhin Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) e.V.. Roger Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)