WOLFSBURG (dpa-AFX) - Der Volkswagen-Konzern hat in der Corona-Krise schwer zu kämpfen. Wenn das Unternehmen an diesem Donnerstag (30. Juli) voraussichtlich einen Milliardenverlust für das zweite Quartal präsentiert, werden Investoren aber versuchen, zwischen den schwachen Zahlen einen Blick auf die Chancen nach der Pandemie zu erhaschen. Denn in der Branche stehen große Umwälzungen an, die dem Megakonzern einiges abverlangen. Was bei VW los ist, was die Analysten sagen und wie die Aktie zuletzt gelaufen ist.

DIE LAGE BEI VW:

Dem Lockdown in China früh im Jahr folgten Corona-bedingt harte Einschränkungen auch in Europa und Nordamerika - und das vor allem im zweiten Quartal. Über mehrere Wochen standen seit Mitte März die Bänder still. In den Autohäusern konnte ohnehin nichts verkauft werden und die Produktion hätte nur die Lager und die Höfe der Händler gefüllt - und die Kasse noch schneller geleert als ohnehin schon. Von zwei Milliarden Euro Mittelabfluss pro Woche sprach VW-Chef Herbert Diess auf dem Höhepunkt der Krise, Mitte Juli bezifferte er die Einbußen beim Liquiditätspolster auf zehn Milliarden Euro.

Dass es im zweiten Quartal einen Verlust hageln würde, hatte Finanzchef Frank Witter schon Ende April mit den Zahlen für das erste Jahresviertel klargemacht. Die Auslieferungen an Kunden sackten weltweit zwischen April und Ende Juni um knapp ein Drittel auf 1,89 Millionen Fahrzeuge ab - und das obwohl VW im wichtigsten Markt China schon wieder ein leichtes Plus aufweisen konnte. In Westeuropa etwa schmolzen die Verkäufe auf weniger als die Hälfte ab.

Konkurrent Daimler konnte angesichts der Umstände im zweiten Quartal relativ robuste Zahlen vorweisen, auch weil es im Juni wieder spürbar aufwärts ging. Bei VW rechnen von Bloomberg befragte Analysten mit einem Umsatzrückgang von 37 Prozent auf 41 Milliarden Euro. Der operative Verlust würde demnach 1,9 Milliarden Euro betragen. Diess hat schon klargemacht, dass diese Krise wohl noch lange nachwirkt - bis weit ins Jahr 2022 dürfte sie den Konzern belasten.

Der Manager selbst hat in den zurückliegenden Wochen ebenfalls für viel Unruhe in Wolfsburg gesorgt. Nach einem Eklat mit dem Aufsichtsrat, dessen innerstem Zirkel er angesichts der bei VW fast schon traditionell häufigen Indiskretionen Straftaten unterstellt hatte, musste er sich beim Kontrollorgan entschuldigen. In der Folge musste Diess zudem die direkte Verantwortung als Chef der Kernmarke VW Pkw abgeben, Produktionsprobleme beim neuen Golf 8 und dem neuen Elektromodell ID3 hatten für Zoff mit den Arbeitnehmern gesorgt. Ralf Brandstätter, bisher offiziell nur fürs Tagesgeschäft zuständig, hat bei der Marke nun formal das alleinige Sagen.

Danach folgte eine wahre Personalrochade im Management des Konzerns und seiner Töchter. Nutzfahrzeugvorstand und Traton-Chef Andreas Renschler verlor seinen Posten, ebenso Digitalchef Christian Senger und Skoda-Chef Bernhard Maier. Konzern-Einkaufsvorstand Stefan Sommer ging ebenfalls. Neuer starker Mann neben Diess ist nun vor allem der seit April amtierende Audi-Chef Markus Duesmann, der im Konzern Forschung und Entwicklung sowie das Softwaregeschäft unter seiner Aufsicht hat. Der Manager hatte wie Diess zuvor bei BMW gearbeitet.

Ungeachtet der Umwälzungen bleibt der Spardruck bei Volkswagen hoch. Die Wolfsburger Kernmarke verordnete sich einen Einstellungsstopp. Brandstätter sprach von "absoluter Kostendisziplin", jeder Euro müsse umgedreht werden. "Das Unternehmen ist in einer wirklich schwierigen Situation."

Noch steht auch aus, wann Volkswagen eigentlich die Hauptversammlung abhalten will, bisher gab es keinen neuen Zeitpunkt dafür. Der Termin selbst ist insbesondere für die Zahlung der Dividende wichtig. Eigentlich sind je Vorzugsaktie 6,56 Euro angekündigt, für Stammaktien satzungsgemäß 6 Cent weniger. Doch VW hat an mancher Stelle durchblicken lassen, dass das nicht das letzte Wort sein muss angesichts der Großwetterlage.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Bei den im dpa-AFX-Analyser vertretenen Analystinnen und Analysten steht die VW-Aktie nach wie vor gut da. Zwölf von 17 Stimmen empfehlen den Kauf, nur eine den Verkauf. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 168 Euro und damit rund ein Fünftel über dem aktuellen Niveau.

Volkswagen bleibe unter den europäischen Autoherstellern am besten positioniert für den Umschwung der Branche hin zu elektrischen Antrieben, schrieb Goldman-Sachs-Analyst George Galliers. Anders als die deutschen Konkurrenten Daimler und BMW sei Volkswagen zudem mit einem positiven Trend bei den Ergebnissen und dem Free Cashflow ins Jahr gestartet, bevor die Corona-Pandemie die Branche erfasst habe. Das sollte auch in einer Welt nach Covid-19 Bestand haben, so der Experte.

Eine besser als gedacht ausfallende Entwicklung der Netto-Barmittelbestände erhöhe die Chance auf eine schuldenfinanzierte Übernahme des US-Lkw- und Busherstellers Navistar und könnte sogar die vollständige Auszahlung der angekündigten Dividende ermöglichen, schrieb Philippe Houchois von der Investmentbank Jefferies.

Alles andere als tiefrote Ergebnisgrößen im zweiten Quartal infolge der Corona-Krise wären eine Überraschung, schrieb Analyst Frank Schwope von der NordLB. Allerdings mache der chinesische Absatzmarkt Hoffnung und zeige möglicherweise den Weg aus der Krise.

SO LIEF DIE AKTIE ZULETZT:

Die im Dax notierte Volkswagen-Vorzugsaktie büßte seit Jahresanfang rund ein Fünftel ihres Werts ein. Seit dem Corona-Crash, der die Aktienmärkte am 24. Februar erstmals mit voller Wucht erfasst hat, hat das Papier rund 16 Prozent verloren - und damit deutlich mehr als der deutsche Leitindex und als die Anteile von BMW und Daimler. Im Tief rutschte der Kurs bei unter 80 Euro sogar deutlich unter das Dieselkrisentief von gut 86 Euro im Herbst 2015.

Bei aktuellen Kursen von knapp 140 Euro haben die VW-Aktionäre nach der Erholung in ihrem Depot zwar wieder etwas mehr zu Buche stehen. Die mühsamen Zugewinne seit dem Ausbruch der Dieselaffäre um manipulierte Motorensoftware sind aber größtenteils mit der Corona-Krise wieder dahin. Immerhin ist VW bisher trotz Kritik und drohender Belastung des Kassenbestands noch nicht von der vorgeschlagenen Dividendenzahlung von 6,56 Euro je Vorzugspapier abgerückt. Das würde die vorhandenen Finanzmittel um 3,3 Milliarden Euro schmälern.

Volkswagen ist an der Börse derzeit rund 72 Milliarden Euro wert, zusammen mit Daimler (42 Mrd Euro) und BMW (33 Mrd) kommen die drei großen deutschen Autokonzerne auf etwas mehr als 150 Milliarden Euro Marktkapitalisierung. Zum Vergleich: Der US-Elektroautopionier Tesla bringt es nach einer beispiellosen Rally in den vergangenen Wochen derzeit auf 275 Milliarden US-Dollar (235 Milliarden Euro) - und damit mehr als die drei großen deutschen Autobauer zusammen./men/nas/he