Braunschweig (Reuters) - Im milliardenschweren Anlegerprozess gegen Volkswagen und dessen Hauptaktionär Porsche SE wegen manipulierter Abgaswerte hat der frühere Konzern-Chef Herbert Diess eine Verantwortung zurückgewiesen.

Er habe ein "Grundvertrauen" gehabt, dass Volkswagen ein gutes Unternehmen sei, sagte Diess am Dienstag vor dem Oberlandesgericht in Braunschweig. Zwar habe er schon kurz nach seinem Arbeitsbeginn von Problemen mit Dieselfahrzeugen in den USA erfahren. Er sei aber bis zuletzt davon ausgegangen, dass die Probleme gelöst werden könnten. Diess war am 1. Juli 2015 als VW-Markenchef bei Volkswagen eingestiegen.

Der damalige Konzernchef Martin Winterkorn habe noch in den letzten Wochen vor Bekanntwerden des Dieselskandals im September 2015 bei Sitzungen vermittelt, dass der Wolfsburger Autobauer zusammen mit der US-Umweltbehörde EPA an einer Lösung arbeite, sagte Diess. "Ich hatte keinerlei Anlass, an der Kompetenz von Winterkorn zu zweifeln", betonte der einstige Auto-Manager. "Er hatte das Thema in der Hand."

Er selbst habe es bis zuletzt nicht für möglich gehalten, dass es Sanktionen wegen überhöhter Abgaswerte geben könnte. Von Anfang an sei er davon ausgegangen, dass man offen mit den Behörden zusammenarbeite. "Das ist das einzig sinnvolle Vorgehen mit Behörden meiner Meinung nach", sagte Diess. Allerdings habe der Autobauer gegenüber den Behörde eine lange Zeit etwas verheimlicht. Nur so könne er sich erklären, was danach kam. Die Abschalteinrichtung selbst sei nicht der Grund für das Vorgehen der EPA - sondern die lange Dauer und das Hinhalten.

Nach der Meldung der US-Umweltbehörde EPA habe der Konzern unter Hochdruck daran gearbeitet herauszufinden, ob es auch in anderen Regionen Verstöße gegen Abgasrichtlinien gegeben habe und damit weitaus mehr Fahrzeuge betroffen sein könnten. "Der gesamte Vorstand war natürlich sehr getroffen und besorgt, weil die Dimensionen in eine Größenordnung gehen, wo man an eine Existenzgefährdung denken musste", sagte Diess. Er selbst habe sich nicht vorstellen können, dass Volkswagen in Europa gegen Gesetze verstoßen habe, zumal die Regelungen hier deutlich einfacher zu erfüllen seien als in den USA, sagte der 65-Jährige. Es sei für ihn unfassbar gewesen, dass es auch in Europa Abweichungen gab.

Volkswagen hatte 2015 auf Druck der EPA zugegeben, Diesel-Abgaswerte durch eine Software manipuliert zu haben. Diese sorgte dafür, dass die Motoren die Stickoxidgrenzwerte auf dem Prüfstand zwar einhielten, auf der Straße aber ein Vielfaches dieser giftigen Abgase ausstießen. Der Skandal löste eine Vielzahl von Prozessen aus. Im Juni 2023 wurde der frühere Chef der Volkswagen-Tochter Audi, Rupert Stadler, vom Landgericht München zu einer Bewährungsstrafe und einer millionenschweren Geldauflage verurteilt.

Das Oberlandesgericht Braunschweig verhandelt seit fünf Jahren über eine Musterklage der Fondsgesellschaft Deka Investment der Sparkassen wegen erlittener Kursverluste durch den VW-Abgasskandal. Die Kläger - zumeist institutionelle Anleger - werfen Volkswagen und der ebenfalls beklagten Porsche Holding vor, die Information über "Dieselgate" lange geheim gehalten und ihnen dadurch einen Wertverlust ihrer Aktien eingebrockt zu haben. Dem hält Volkswagen entgegen, die Kursrelevanz sei erst durch die Veröffentlichung der EPA am 18. September 2015 erkennbar geworden. Die Wiedergutmachung des Abgasskandals, vor allem Bußgelder, Schadensersatz und Rechtsanwaltskosten, hat Volkswagen bisher mehr als 32 Milliarden Euro gekostet.

Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts unter dem Vorsitzenden Christian Jäde hat Dutzende Zeugen geladen, um Aufschluss über die Hintergründe des Dieselskandals zu erhalten. Darunter sind auch Diess Vorgänger Matthias Müller sowie Winterkorn, der nach Auffliegen des Dieselskandals 2015 zurückgetreten war. Ob dieser von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch macht, ist nicht bekannt. Parallel ist gegen Winterkorn in Braunschweig ein Strafverfahren wegen der Abgasmanipulationen anhängig, das aber wegen seines Gesundheitszustands bisher zurückgestellt wurde. Der Vorwurf lautet hier auf gewerbsmäßigen Betrug. Winterkorn weist die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft nach Angaben seines Anwalts zurück. Dazu kommt ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf Marktmanipulation, das wieder aufgenommen wurde.

(Bericht von Christina Amann, redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter Berlin.Newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder Frankfurt.Newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)