Die deutsche Verbio-Gruppe ist der größte europäische Hersteller von Biokraftstoffen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Bioethanol - ein Zusatzstoff, der die Oktanzahl von Benzin erhöht und die Emissionen verringert - und um Biodiesel, der in Europa am häufigsten verwendete Biokraftstoff. Biodiesel ist besonders geeignet, um die Partikel- und Kohlenmonoxidwerte in Dieselfahrzeugen zu senken.

Chart Verbio SE

Deutschland ist stark abhängig vom russischen Erdöl. Eine Erhöhung des Anteils von Biokraftstoffen würde dazu beitragen, die Energiesicherheit um einen bescheidenen, aber nicht zu vernachlässigenden Prozentsatz, zu verbessern. Die Ereignisse in der Ukraine sind ein Grund mehr dafür. Der eigentliche Auslöser für den Nachfrageschub war jedoch die Verabschiedung neuer Rechtsvorschriften zur Verringerung der Kohlenstoffemissionen in Deutschland und in Europa im Allgemeinen.

Somit wurde die Ausgangssituation in einem Sektor verändert, der aufgrund mangelnder Möglichkeiten kaum reagieren konnte. Denn nicht viele Akteure haben die Größe und das Know-how, um riesige Mengen an Biokraftstoffen zu produzieren und zu mischen. Verbio ist Spitzenreiter und folgt seit fünfundzwanzig Jahren treu der Vision des Gründers.

Das Unternehmen konnte sich zwischenzeitlich auch in Nordamerika und Indien etablieren, wo die Probleme der Energiesicherheit und der Schadstoffemissionen noch akuter sind als in Europa. Und Verbio investiert weiterhin stark in seine Kapazitäten. Mit der Unterzeichnung mehrerer strategischer Partnerschaften mit großen Energieunternehmen wird diese Expansion allem Anschein nach fortgesetzt. Ebenso bemerkenswert wie ungewöhnlich ist der Fakt, dass die Investitionen in das Wachstum seit 2015 vollständig aus eigenen Mitteln finanziert wurden.

Natürlich ist es ein großer Wettbewerbsvorteil, als Erster dagewesen zu sein, vor allem in einem Markt, der in Europa und Asien chronisch unterversorgt ist. Das deutlichste Beispiel ist zweifellos China, wo die heimische Biokraftstoff-Produktionskapazität nur ein Fünftel des jährlichen Bedarfs deckt. Hinzu kommen die Herausforderungen, die sich aus der technischen Komplexität ergeben, wie z. B. die Probleme bei der Lagerung oder dem Transport von Kraftstoffen auf Ethanolbasis. Diese Kraftstoffe bleiben aufgrund der hohen Absorptionsfähigkeit von Ethanol nur drei Monate lang stabil.

Neben Bioethanol und Biodiesel ist Verbio auch der größte europäische Hersteller von Biomethan. Dieser Biokraftstoff, der zum Teil aus Stroh hergestellt wird, genießt den Ruf, umweltfreundlicher (und erschwinglicher) zu sein als sein Pendant Ethanol, dessen Herstellung eine intensive Landwirtschaft erfordert. Die Geschäftsleitung ist überzeugt, dass Biomethan die umweltfreundlichste Alternative zum klassischen Dieselmotor ist - dem "Arbeitspferd" der modernen Industriewirtschaft.

Der Aktienkurs von Verbio ist seit der Verabschiedung der "RED II"- Erneuerbare-Energien-Richtlinie in Deutschland und der "Fit for 55"-Gesetzgebung in der Europäischen Union stark gestiegen. Wie üblich haben sich die Amerikaner mit ihrem "Renewable Fuel Standard“-Programm, das in diesem Jahr erheblich ausgeweitet werden soll, selbst übertroffen. All diese Entwicklungen haben die Kapazitätsauslastung von Verbio auf ein Rekordniveau von derzeit 90 % gebracht.

Aufgrund der starken Nachfrage wird die Kapazität bis zum Jahr 2023 in allen Segmenten stetig weiter wachsen. Dies ist auch deshalb notwendig, da der Trend hin zur Dekarbonisierung der Wirtschaft weit über den Verkehrssektor hinausgeht: Neue Absatzmärkte beispielsweise in der chemischen Industrie oder im Bausektor eröffnen sich. Kürzlich ist Verbio auch auf den LNG-Zug (Flüssigerdgas) aufgesprungen - ein weiterer Megatrend. So hat der Konzern eine große Gasverflüssigungsanlage sowie rund 20 Stationen in ganz Deutschland bereits angekündigt.

Der Gründer von Verbio, Claus Sauter, hatte wohl die richtige Vision - sowohl was die Branchenlandschaft als auch die Expansionsstrategie anbelangt. Potenzielle Investoren finden in den jährlichen Briefen des Managements an die Aktionäre präzise formulierte, aufschlussreiche Informationen zur Strategie von Verbio. Sie werden auch zu schätzen wissen, dass das Management immer noch die Hälfte des Kapitals besitzt, aber vielleicht bedauern, dass die Vergütung eher hoch ist.

In finanzieller Hinsicht ist das Management konservativ und finanziert sein Wachstum seit 2015 aus eigenen Mitteln. Dieses Wachstum ist regelmäßig, und die Bilanz sieht makellos aus - das Umlaufvermögen an sich deckt alle Verbindlichkeiten doppelt. Die Rendite der Vermögenswerte, der Entwicklungsinvestitionen und des Eigenkapitals ist außergewöhnlich hoch oder liegt zumindest deutlich über dem Branchendurchschnitt.

Der größte Nachteil ist die eher schwache Umwandlung von Gewinnen in Cash, wie es bei Raffineriebetrieben häufig der Fall ist. Denn die Lagerbestände müssen ständig aufgefüllt werden, insbesondere wenn sie eine Phase starken Wachstums durchlaufen.

Die große Frage ist natürlich, wie der kritische Anstieg der Rohstoffpreise aufgefangen werden soll. Verbio verarbeitet Rohöl und raffinierte Derivate sowie eine Vielzahl von Agrarrohstoffen. Der Krieg in Osteuropa hat jedoch diese Lieferketten gründlich unterbrochen und treibt die Preise auf allen Rohstoffmärkten in die Höhe. Die Preissteigerungen konnten bisher an die Endverbraucher weitergegeben werden, was insbesondere im Bereich Biodiesel zu einer außerordentlichen Erhöhung der Margen bei Verbio führte. Niemand weiß jedoch, wie lange es dauern wird, bis diese hohen Preise auf die Erzeuger zurückschlagen und die Nachfrage neutralisieren.

Die außergewöhnliche Preisdynamik in Verbindung mit neuen Kapazitätsinvestitionen dürfte bis 2024 zu einem Umsatzanstieg auf 1,5 Milliarden Euro und einem Betriebsergebnis vor Abschreibungen von fast 350 Millionen Euro führen, was über den ursprünglichen Prognosen liegt. Damit wird die Gruppe mit dem 12- bis 13-fachen des bis 2024 erwarteten EBITDA bewertet.

Verbios einzigartiges Know-how und seine Infrastruktur machen das Unternehmen nicht nur zu einem bevorzugten Partner für multinationale Energiekonzerne, sondern auch zu einem idealen Übernahmeziel. Sollte ein solches Szenario eintreten, ist mit einem Aufschlag auf die aktuelle Bewertung zu rechnen.