Von Jon Sindreu

CHICAGO (Dow Jones)--Das große Problem von Boeing ist nicht so sehr der Verkauf der berüchtigten 737 MAX. Es ist vielmehr die Auslieferung der Maschinen. Am Mittwoch fielen die Aktien des in Chicago beheimateten Flugzeugbauers im frühen Handel um fast drei Prozent, nachdem das Unternehmen einen Verlust von 561 Millionen Dollar für das erste Quartal gemeldet hatte. Während das militärische Geschäft besser lief als von Analysten erwartet, blieb der Umsatz mit Verkehrsflugzeugen erneut deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Dabei mangelt es derzeit nicht an guten Nachrichten: Der Inlandsreiseverkehr in den USA hatte sich im März schlagartig erholt, was sich auch auf die Luftfahrtindustrie auswirkt. Boeing verzeichnete im Berichtsquartal 76 Aufträge abzüglich Stornierungen und lag damit deutlich vor seinem europäischen Konkurrenten Airbus, der 61 mehr Stornierungen als Aufträge melden musste. Boeing konnte unter anderem einen viel beachteten Vertrag über den Bau von 100 737 MAX-Jets für Southwest Airlines abschließen. Dieser trägt dazu bei, das Vertrauen in das Flugzeug mit dem ramponierten Image wiederherzustellen.

Das Gesamtbild leidet jedoch unter den Schwierigkeiten des Flugzeugherstellers, einen Großteil seines riesigen, bereits produzierten Bestandes an Flugzeugen unterzubringen. Um die Erwartungen der Anleger für 2021 zu erfüllen, müsste Boeing Hunderte von nicht ausgelieferten Jets aus dem Weg räumen. Seit nunmehr zwei Jahren verstopfen diese Maschinen als Folge der MAX-Krise und der jüngsten Probleme mit dem 787 Dreamliner die Abstellplätze. Die Produktionskosten für diese Flugzeuge wurden bereits verbucht, so dass jede Auslieferung einen finanziellen Gewinn darstellt.

Dennoch stiegen die Lagerbestände von Boeing bis zum 31. März auf einen Wert von 83 Milliarden US-Dollar. Dieser liegt zwar unter dem Höchststand von 87 Milliarden Dollar, der sich im Jahr 2020 aufgebaut hatte. Gegenüber Dezember 2020 bedeutet das trotzdem eine erneute Zunahme, obwohl zwischenzeitlich 77 Passagierflugzeuge ausgeliefert wurden.

Die Unterbrechung bei den 787-Auslieferungen bis März ist sicherlich ein Grund für den Anstieg. Wenn Boeing jedoch anhaltend Schwierigkeiten damit haben sollte, die MAX-Jets auszuliefern, die das Unternehmen produziert, während es gleichzeitig seine Flugzeughalden entlasten muss, könnte das Anlass zur Sorge geben. "Ich wäre besorgt, wenn das ein Trend ist", sagte Robert Spingarn, Analyst bei Credit Suisse.

Diesen Monat wurden 106 MAX-Flugzeuge auf Geheiß von Boeing aus dem Verkehr gezogen, nachdem neue Fehler an der Elektronik festgestellt wurden. Das Problem scheint in keinem Zusammenhang mit denen zu stehen, die die Flugzeuge im Jahr 2019 zum Grounding zwangen, aber es fügt den Lieferplänen des Unternehmens eine weitere Verzögerung hinzu. Und es gibt noch mehr Risiken: Das Unternehmen lenkte am Mittwoch viel Aufmerksamkeit auf die Beziehungen zwischen den USA und China, da Peking die MAX immer noch nicht rezertifiziert hat.

Der Flugzeugbauer bekräftigte zwar am Mittwoch, dass er die meisten seiner etwa 100 ungenutzten 787 und etwa die Hälfte seiner 400 MAX-Jets bis zum Jahresende ausliefern will. Dennoch erscheint dieses Vorhaben zunehmend schwierig.

Die Boeing-Aktie wurde durch die jüngste Reihe von Missgeschicken nur geringfügig beeinträchtigt und hat sich seit Beginn der Pandemie fast genauso gut entwickelt wie die von Airbus. Noch im März erhielt die Aktie deutlichen Aufwind, vermutlich weil der Markt in Optimismus wegen der Impfkampagne in den USA schwelgte.

Allerdings tragen US-Fluggesellschaften nur 18 Prozent zum Auftragsbestand an Verkehrsflugzeugen bei, wie aus Daten von Bernstein Research hervorgeht. Ähnlich ist das Verhältnis bei Airbus. Und die Aussichten für die Reisenachfrage außerhalb der USA trüben sich ein, so die April-Prognose der International Air Transport Association als Dachverband der Fluggesellschaften.

Dies verdirbt den Fluggesellschaften in Übersee den Appetit auf die Übernahme von Flugzeugen, insbesondere wenn sie aufgrund von Lieferverzögerungen die Möglichkeit haben, Kaufverpflichtungen zu stornieren.

Die gesamte Luft- und Raumfahrtindustrie wird vom Ende der Pandemie profitieren. Auch Boeing wird langfristig seinen erheblichen Wert bewahren. Um die US-Erholungsstory zu spielen, haben Anleger jedoch bessere Optionen.

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April 29, 2021 03:28 ET (07:28 GMT)