Berlin (Dow Jones)--Wer hätte das gedacht: Als der Energieversorger RWE vor ziemlich genau einem Jahr seinen Capital Market Day in London coronabedingt absagen musste, war die Ungewissheit mit Blick auf das eigene Geschäft noch groß. Ein Jahr später steht fest, dass der Essener DAX-Konzern das Pandemie-Jahr viel besser abgeschlossen hat als zunächst erwartet. RWE hatte wegen überraschend guter Zahlen insbesondere im Energiehandel bereits am 5. Februar ein vorläufiges Ergebnis für 2020 bekanntgegeben und seine Gewinnerwartung nach oben korrigiert.

Damit steht nicht nur fest, dass die Einverleibung der Eon-Erneuerbaren-Sparte und von Innogy unter einem Firmendach erfolgreich war - wenngleich dagegen noch immer zahlreiche Wettbewerber in Brüssel klagen. Auch der Imagewandel von einem der größten Braunkohle-Verschmutzer Europas zum weltweiten führenden Offshore-Player geht voran, wenngleich nicht schnell genug.

Darauf werden die Analysten achten, wenn RWE am Dienstag die Bücher öffnet:

AUSBLICK: Das bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) soll laut den vorläufigen Zahlen nun bei 3,2 Milliarden Euro liegen. Damit wird die zunächst erwartete Bandbreite von 2,7 bis 3,0 Milliarden Euro überschritten. Unterm Strich werden beim bereinigten Nettoergebnis voraussichtlich 1,2 Milliarden erreicht, was ebenfalls über der bisherigen Prognose von 0,85 bis 1,15 Milliarden Euro liegt. Weiterhin will RWE eine Dividende von 0,85 Euro pro Aktie auszahlen.

UNSICHERER JAHRESAUFTAKT: Am 16. März gibt der Konzern voraussichtlich auch eine Prognose für 2021 ab. Hier ist die Unsicherheit höher: Einerseits hatte RWE wegen der extremen Wetterbedingungen im US-Bundesstaat Texas, die im Februar zu Stromausfällen führten, kürzlich eine Gewinnwarnung für 2021 veröffentlicht. RWE musste zu extrem hohen, staatlich festgesetzten Preisen Strommengen zukaufen - wodurch das Segment-EBITDA Onshore Wind/Solar voraussichtlich mit einem niedrigen bis mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag belastet wird. Andererseits enthält der Konzern für den endgültigen Atomausstieg nun weitere Entschädigungen vom Bund - insgesamt 880 Millionen Euro an Ausgleichszahlungen. Das könnte die Texas-Verluste möglicherweise mehr als kompensieren.

In einer von RWE am 25. Februar veröffentlichten Analystenschätzung waren die Effekte noch nicht berücksichtigt. Danach erwarteten 15 Broker für 2021 ein bereinigtes EBITDA-Ergebnis von knapp 3,3 Milliarden Euro und ein bereinigtes Nettoergebnis von rund 1,3 Milliarden Euro. Die Dividende könnte demnach auf 0,90 Euro ansteigen.

AKTIEN-TALFAHRT: Das Wertpapier legte zu Jahresbeginn noch eine Achterbahnfahrt hin: Während es am 8. Januar sein 52-Wochen-Hoch von 38,61 Euro erreichte, rutschte es zum 3. März auf 29,96 Euro ab. Inzwischen hat sich die Aktie bei einem Wert zwischen 32 und 33 Euro stabilisiert.

KOHLEAUSSTIEG: Zum Jahresende hat das Unternehmen mit Niederaußem D wie geplant seinen ersten Braunkohle-Kraftwerksblock stillgelegt. Für den Kohleausstieg erhält RWE insgesamt 2,6 Milliarden Euro an Entschädigungen vom Bund. Derzeit prüft allerdings noch die EU-Kommission, ob die Zahlungen nicht doch überzogen sind. Dass der Konzern auch nicht so grün ist wie stets verkündet, zeigt der Fall Niederlande: Dort will RWE den vorgezogenen Kohleausstieg nicht hinnehmen - und klagt auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags vor einem internationalen Schiedsgericht in Washington auf Entschädigung. Der milliardenschwere Atomdeal aufgrund der Vattenfall-Klage vor dem gleichen Gericht steht hier Pate.

Kontakt zur Autorin: petra.sorge@wsj.com

DJG/pso/err

(END) Dow Jones Newswires

March 12, 2021 09:00 ET (14:00 GMT)