(Reuters) - Die Bundesregierung hat ein offenes Ohr für Sorgen des Luftverkehrs über Wettbewerbsnachteile durch kostspielige Klimaschutzvorschriften in Europa.

Gesetze wie die Pflicht für Airlines in der Europäischen Union (EU) einen steigenden Anteil klimaneutralen Treibstoffs zu tanken, sollten nicht zulasten europäischer und deutscher Flughäfen und Airlines gehen, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag in Hamburg auf der Nationalen Luftfahrtkonferenz. "Was den Wettbewerb verzerrt, was dazu führen könnte, dass Arbeitsplätze verlagert werden - das werden wir natürlich nicht hinnehmen." Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sicherten zu, sich für international einheitliche Standards einzusetzen, die Klimadumping durch nicht-europäische Konkurrenten verhindern sollen.

Die EU schreibt den Fluggesellschaften ab 2025 eine steigende Quote für die Beimischung von nachhaltigem Treibstoff (SAF) vor. Der ist bisher erst in homöopathischer Dosis vorhanden und daher fünf bis sechs Mal so teuer wie fossiles Kerosin. So wie die Quote jetzt gestaltet sei, "verspielt sie unseren Vorsprung und spielt im Wettbewerb den Drehkreuzen außerhalb Europas in die Hände und nicht den europäischen Airlines", warnte Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Die größte deutsche Airline befürchtet, bei Langstreckenflügen Marktanteile gegen Turkish Airlines oder den größten Golf-Carrier Emirates zu verlieren. Die Drehkreuze Frankfurt oder München hätten das Nachsehen gegenüber den Airports in Istanbul oder Dubai.

Wirtschaftsminister Habeck sagte, die europäischen Klimaschutzregeln für den Luftverkehr sollten auf der Weltklimakonferenz verhandelt werden. Die von der Lufthansa und vom Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) vorgeschlagene Ticketabgabe, die sich nach dem Reiseziel richtet, schaffe Wettbewerbsgleichheit. Die wachsende Produktion von SAF in Deutschland könne ein Wirtschaftsfaktor werden. "Wir können aus diesem Hochlauf von SAF einen Vorteil ziehen für den Standort und die Innovationskraft des deutschen Maschinenbaus", sagte Habeck.

Auf EU-Ebene will sich Verkehrsminister Wissing für die Luftverkehrssteuer einsetzen, die es in Deutschland schon gibt. Der FDP-Politiker räumte allerdings ein: "Das ist ein dickes Brett, das noch zu bohren ist." Der BDL fordert außerdem, die Bundesregierung solle die Einnahmen aus der Luftverkehrssteuer von rund 1,5 Milliarden Euro im Jahr den Unternehmen zum Aufbau der SAF-Produktion überlassen. Scholz deutete als Option die EU-Grenzabgabe bei "Carbon Leakage" an. Die Abgabe soll verhindern, dass die Wirtschaft CO2-Emissionen in Länder ohne Klimaschutzregeln verlagert. Sie ist bisher allerdings nur für die Industrie vorgesehen.

EHRLICHKEIT ÜBER KOSTEN

Beklagt wurden bei dem Spitzentreffen auch die hohe Belastung durch Steuern und Gebühren in Deutschland, wie zum Beispiel die Flugsicherungsgebühren. Nach Auffassung der Branche ist das der Grund, dass Deutschland bei Direktflügen noch deutlich unter dem Angebot des Vor-Coronakrisenjahres 2019 liegt und damit in Europa hinterherhinkt. Die Billigflieger Ryanair und Easyjet reduzierten mit dieser Begründung ihr Angebot. Grund der stark gestiegenen Gebühren sind die Verluste der Corona-Pandemie, welche die Deutsche Flugsicherung auf die Airlines abwälzen muss. Die DFS schlug vor, dass der Bund einen Teil des Verlusts übernehmen soll. Wissing sagte zu, das zu prüfen. Kurzfristig lasse das EU-Recht das aber nicht zu.

Lufthansa-Chef Spohr warb dafür, den Bürgern gegenüber ehrlicher zu sein und ihnen zu vermitteln, dass Klimaschutz Geld kostet, auch sie. Denn bisher gäben in Umfragen zwar 30 Prozent an, mehr für klimafreundliches Fliegen zahlen zu wollen, aber nur drei Prozent böten entsprechende Tarife. "Die Ehrlichkeit muss da sein - es kostet was, wer zahlt was, wer verzichtet?"

IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner warnte, die Akzeptanz für Klimaschutz in der Gesellschaft gehe verloren. Es sei deshalb nicht genug, viel in die Forschung neuer Technologien zu stecken, notwendig seien Leuchtturm-Projekte in der Produktion von SAF und klimafreundlicher Flugzeugtechnik. Die Post-Logistiktochter DHL, das Energieunternehmen HH2E und die Technologiefirma Sasol kündigten am Rande der Konferenz an, in Ostdeutschland eine SAF-Produktion aufbauen zu wollen.

(Bericht von Ilona Wissenbach und Andreas Rinke. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)