BERLIN (awp international) - Der Kochboxenversender Hellofresh setzt weiter voll und ganz auf die Wachstumskarte und nimmt dafür eine geringere Profitabiltät in Kauf. Da der Dax-Kandidat mehr Geld in die Voraussetzung für weiteres Wachstum investieren will, senkte der Konzern das Ziel für die operative Marge. Die Latte für den Umsatz wurde dagegen höher gelegt, wie das Unternehmen überraschend am Donnerstagabend in Berlin mitteilte. An der Börse wurde die gesenkte Margenprognose mit deutlichen Verlusten quittiert. Die Aktie, die zu den grossen Corona-Gewinnern gehört, gab in den ersten Handelsminuten deutlich nach.

Da Hellofresh für das weitere Wachstum neue Produktionsstätten baut und in Technologie investieren will, geht der Konzern bei der Marge auf Basis des um Sondereffekte bereinigten Gewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) jetzt von einem geringeren Wert aus. Die operative Marge soll demnach im laufenden Jahr zwischen 8,25 und 10,25 Prozent anstatt 10 bis 12 Prozent liegen. Analysten haben den Angaben zufolge bisher eine Marge von rund 11 Prozent auf dem Zettel.

Beim Umsatz rechnet das Unternehmen jetzt mit einem um Währungseffekte bereinigten Anstieg um 45 bis 55 Prozent. Bislang hatte die Prognose 35 bis 45 Prozent betragen. Auf Grundlage aktueller Wechselkurse würde das Umsatzplus in Euro gemessen um ungefähr drei bis vier Prozentpunkte geringer ausfallen als auf währungsbereinigter Basis. Analysten gehen nach Angaben des Unternehmens bisher von einem Umsatzanstieg von rund 41 Prozent aus.

Im zweiten Quartal zog der Umsatz vorläufigen Daten zufolge um fast 60 Prozent auf 1,56 Milliarden Euro an. Der Umsatz fiel höher aus, als Experten erwartet hatten. Der um Sondereffekte bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) legte dagegen nur leicht auf 158 Millionen Euro zu. Hier lag das Unternehmen im Rahmen der Erwartungen. Detaillierte Zahlen will das Unternehmen wie geplant am 10. August vorlegen.

2020 hatte der Konzern den Umsatz - getrieben von der Corona-Pandemie, in der viele Leute zu Hause bleiben mussten und ihr Essen bei Hellofresh bestellt haben - auf rund 3,75 Milliarden mehr als verdoppelt. Das operative Ergebnis kletterte dabei auf 505 Millionen Euro - das war fast elf Mal so viel wie 2019. Die operative Marge hatte 2020 bei 13,5 Prozent gelegen.

Gemessen an der mittleren Spanne der neuen Umsatzprognose und dem erwarteten Währungseffekt würde der Erlös rechnerisch im laufenden Jahr auf fast 5,5 Milliarden Euro zulegen. Der operative Gewinn würde dem neuen Margenziel zufolge rechnerisch bei etwas mehr als 500 Millionen Euro verharren. Von Bloomberg befragte Experten haben bisher beim Umsatz einen Anstieg auf 5,4 Milliarden Euro und beim operativen Ergebnis auf 600 Millionen Euro auf dem Zettel.

Die Aktie büsste am Freitag in den ersten Minuten des Xetra-Handels bis zu acht Prozent auf 71,54 Euro ein. Damit entfernte sich das seit 2017 an der Börse notierte Papier weiter von dem Anfang Juli erreichten Rekordhoch von 89,10 Euro. Trotz der jüngsten Verluste ist die Aktie mit einem Plus von mehr als 300 Prozent seit Ende 2019 der grösste Corona-Gewinner unter den deutschen Standardwerten. Bis zum frühen Nachmittag konnte das Papier die Verluste aber wieder kompensieren und drehte gar leicht ins Plus, ehe zuletzt doch wieder ein Minus von 0,6 Prozent zu Buche stand.

Mit einem Börsenwert von rund 13,6 Milliarden Euro ist Hellofresh inzwischen mehr wert als die Dax-Unternehmen MTU oder Covestro . Auch im MDax liegt Hellofresh weit vorne - wenn auch nicht in der Top Ten. Da der Streubesitz höher ist als bei vielen vor dem Unternehmen platzierten Werten, sind die Chancen für einen Aufstieg in den Dax im September gut. Der deutsche Leitindex wird dann von 30 auf 40 Werte erweitert - entscheidend für den Aufstieg ist die Marktkapitalisierung der frei handelbaren Aktien, dem sogenannten Streubesitz.

Das Echo der Experten war geteilt. "Hellofresh lässt sich normalerweise von Umsatzzahlen leiten, aber sollte es nicht an der Zeit sein, dieses Verhalten zu überdenken, da die beste Zeit für solche Lieferunternehmen hinter ihnen liegt?", gab ein Händler am Morgen zu bedenken.

Die Pessimisten lägen bislang falsch, konstatierte dagegen Berenberg-Analystin Sarah Simon anlässlich der höheren Wachstumsprognose. Die kurzfristig schwächere Profitabilität sei allerdings nicht hilfreich, auch wenn es Investitionen in künftige Erfolge geschuldet sei. William Woods vom US-Analysehaus Bernstein Research betonte, der Kochboxen-Anbieter habe zuletzt sieben Quartale in Folge die Markterwartungen übertroffen, nun aber erstmals das Ziel für die operative Ergebnismarge nach unten revidiert. Auch im abgelaufenen Quartal habe der Umsatz positiv, die Marge hingegen negativ überrascht.

Analyst Sebastian Patulea von der Investmentbank Jefferies wertete die Resultate erheblich besser als von ihm erwartet. Das leicht nach unten korrigierte Margenziel sollte den Markt nicht weiter stören, da es im Zusammenhang mit Wachstumsinvestitionen stehe. Seine Kollegin Nizla Naizer von der Deutschen Bank zog ebenfalls ein positives Fazit: Das Unternehmen habe einmal mehr solide abgeschnitten und das Umsatzziel erhöht, lobte sie./zb/ngu/eas