London/Stockholm/New York (Reuters) - "Wenn die anderen glauben, man ist am Ende, so muss man erst richtig anfangen." Nach diesem Motto des früheren Bundeskanzlers Konrad Adenauer starten viele Betroffene des jüngsten Jobabbaus in der US-Technologiebranche mit eigenen Firmen durch.

"So kontraintuitiv es sich auch anhören mag, durch meine Entlassung bin ich in einer recht guten Position", sagt Nic Szerman, der im November nach nur zwei Monaten seinen Job bei der Facebook-Mutter Meta verlor. "Ich muss die Antrittprämie nicht zurückzahlen, bekomme vier Monate lang mein Gehalt weitergezahlt und habe Zeit, mich um ein eigenes Projekt zu kümmern." Der 24-Jährige gründete inzwischen den Zahlungsabwickler Nulink, dessen Software auf der Blockchain-Technologie basiert. Diese kommt auch bei Kryptowärungen wie Bitcoin oder Ethereum zum Einsatz. Szerman bemühte sich eigenen Angaben zufolge bislang um Gelder beim Wagniskapitalgeber Y Combinator und dem Krytpowährungsfonds von Andreessen Horowitz.

EINE TÜR SCHLIESST SICH, EINE NEUE GEHT AUF

Nach Ansicht von Experten ist Szerman Teil einer Heerschar von Firmengründern, die früher bei Meta, Microsoft & Co angestellt waren. Dem Branchendienst Layoff.fyi zufolge mussten mehr als 150.000 Beschäftigte in diesem Sektor ihre Schreibtische räumen. An frischem Geld für die Neu-Selbständigen fehlt es dabei nicht. Laut dem Research-Haus Pitchbook fiel zwar die Investitionssumme von Wagniskapitalgebern 2022 weltweit um ein Drittel auf 483 Milliarden Dollar. In brandneue Startups steckten sie im Rahmen sogenannter "Seed"- oder "Angel"-Finanzierungsrunden mit 37,4 Milliarden Dollar aber etwa so viel wie im Rekordjahr 2021.

So will beispielsweise der auf junge Startups spezialisierte Fonds Day One Ventures 20 Schecks über je 100.000 Dollar ausstellen. "Wir investieren zwei Millionen Dollar in 20 Unternehmen - wenn wir nur ein einziges Einhorn finden, spielt das fast das gesamte Geld wieder ein", sagt Mitgründerin Masha Bucher. Als "Einhörner" werden Startups mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar bezeichnet.

VIDEOSPIELE UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

Investoren interessieren sich vor allem für Startups, die sich mit Videospielen und Künstlicher Intelligenz beschäftigen. "In jeder Phase wirtschaftlicher Unsicherheit steckt auch die Chance, alles auf Null zu stellen sowie Energie und Ressourcen auf neue Prioritäten zu konzentrieren", erläutert Sofia Dolfe, Partnerin beim Wagniskapitalgeber Index Ventures.

Einige Anleger vergleichen den Abschwung der Technologie-Branche 2022 mit dem Platzen der Internet-Blase Anfang der 2000er Jahre. Auch damals saßen zahlreiche Talente auf der Straße, die anschließend mit neuen Firmen wie YouTube oder Facebook durchstarteten.

Die frisch Entlassenen hätten zudem dank der bekannten Firmen in ihrem Lebenslauf einen Vorteil, sagt Christopher Fong, selbst ein früherer Google-Angestellter, der mit seiner Plattform Xoogler anderen bei der Unternehmensgründung hilft. Ex-Beschäftigte von Firmen wie Twitter oder Snap hätten es leichter, Investoren, Kunden oder Mitarbeiter anzuwerben.

Nulink-Gründer Szerman ist zwar nach eigenen Angaben bei Y Combinator abgeblitzt, andere Wagniskapitalgeber seien aber interessiert. Von Andreessen Horowitz habe er noch keine Rückmeldung. "Ich habe den Investoren gesagt, dass wir uns in zwei oder drei Monaten unterhalten können." Er konzentriere sich jetzt erst einmal auf die Optimierung der Software.

(geschrieben von Hakan Ersen, redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von Supantha Mukherjee und Martin Coulter und Krystal Hu