Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Bernhard Fleischmann zur
europäischen Finanzpolitik
   Regensburg (ots) - Die Bundesbürger sind in Kauflaune. Spendabel 
wie selten zuvor beschenkten sie ihre Liebsten und sich selbst zu 
Weihnachten. Großzügig waren sie auch schon lange davor. Und danach 
sind sie es wohl auch. Das Geld sitzt locker. Ausgangspunkt dieser 
Stimmung ist die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank nach
der Banken- und Finanzkrise. Raus mit der Kohle, sie ist ja eh nix 
mehr wert - dieser Devise folgen immer mehr Bürger. Aber stimmt das? 
Gegenwärtig ist eher das Gegenteil richtig. Der niedrige Zins ist 
Folge einer geringen Inflation. Hohe Inflation bedeutet starke 
Geldentwertung, niedrige oder keine Inflation mithin geringe 
beziehungsweise keine Geldentwertung. Der Wert des Geldes bemisst 
sich daran, wie viel man dafür kaufen kann. Bei stabilen Preisen - 
was historisch betrachtet eher selten der Fall ist - ist das mehr als
bei Inflation. Geld ist momentan also viel wert. Wer glaubt, Geld 
hätte seinen Wert verloren, könne es ihm ja schmerzfrei schenken, hat
der Chefvolkswirt der EZB, Peter Praet, ironisch auf Kritik an der 
Politik der Zentralbank reagiert. Der hochrangige Banker wurde nicht 
gerade mit Euros überschüttet, zumindest ist nichts dergleichen 
bekannt. Man muss davon ausgehen, dass die Menschen ihr vorgeblich 
wertloses Geld doch lieber behalten. Oder für etwas anderes ausgeben.
Denn betrachtet man die Erwartungshaltung, dann dreht sich die 
Perspektive. Nicht umsonst sind die Preise für Immobilien in Regionen
wie Regensburg, in denen es weiter aufwärts gehen soll, 
explosionsartig gestiegen. Das Gleiche gilt für andere Sachwerte, von
denen sich die Anleger - bisweilen von arg fragwürdigen Hoffnungen 
getrieben - Werthaltigkeit und -zuwachs versprechen. Die an 
Ratlosigkeit grenzende Suche treibt seltsame Blüten. Exorbitante 
Preissteigerungen bei Oldtimern oder Kunstwerken haben Fachleute 
erstaunt und Verkäufer entzückt. Das zeigt: Die Anleger sind bereit, 
immer höhere Risiken einzugehen, nur um ihr Geld umzuwandeln in 
materielles Vermögen. Sollte sich der Trend etwa bei Kunstwerken 
umkehren, dann würde Praet doch Recht bekommen: Die Käufer hätten 
zwar nicht ihm, aber den Kunstverkäufern ihr Geld mehr oder weniger 
geschenkt. Zwar ist die Strategie der EZB aufgegangen, Geld 
lockerzumachen und in den Wirtschaftskreislauf zu schleusen. 
Allerdings flutet der monetäre Segen nicht gerade jene Sektoren, 
welche die Volkswirtschaft auf Dauer voranbringen. Investitionen in 
alte Autos und Skulpturen zünden keine Ideen für innovative 
Entwicklungen. Auch Beton gilt kaum als langfristig übermäßig 
produktiv. In ganz Europa scheinen die Regierungen ohnehin schon froh
über jeden Tag zu sein, an denen ihnen das Finanzsystem nicht erneut 
um die Ohren fliegt. Der Krisenmodus ist ein Dauerzustand. Bei der 
Bekämpfung neuer alter Krisen wie aktuell in Italien scheint jedes 
Mittel erlaubt, unbesehen, ob es im vorgesehenen Regelwerk enthalten 
ist. Hauptsache, Geldzombies wie die Monte dei Paschi krachen nicht 
zusammen. Dabei sollte genau diese Situation nie mehr wiederkehren, 
dass eine Bank zu groß ist, um sie pleitegehen zu lassen. Und nie 
wieder sollten die Steuerzahler das Vermögen der Anteilseigner retten
müssen. Von wegen, Ziel verfehlt. Das haben die USA besser und 
radikaler gelöst. Zumindest gefühlt - und wohl auch in Wirklichkeit -
saßen wir noch nie auf einem so riesigen Pulverfass wie heute. Im 
Bemühen, möglichst jede Unruhe vom System fernzuhalten, wirken EZB 
und Politik in Europa paralysiert. Das geht auf Dauer nicht gut. Es 
wird Zeit für einen Abschied vom "Weiter so". Wir werden etwas 
riskieren müssen. Zinsen anheben, Schulden erlassen - beides wird 
unumgänglich sein.

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