Moskau/Kiew (Reuters) - Vier Tage nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine haben Unterhändler beider Seiten erste Gespräche über eine Waffenruhe aufgenommen.

Die Delegationen trafen am Montag an der ukrainisch-belarussischen Grenze zusammen. Die Ukraine hat zum Ziel einen Waffenstillstand und den sofortigen Abzug russischer Truppen von ihrem Staatsgebiet erklärt. Die russische Seite hielt sich zunächst bedeckt über den Zweck der Gespräche. Dessen ungeachtet setzten die russischen Streitkräfte ihre Offensive in der Ukraine fort. Dabei nahmen sie einem Agenturbericht zufolge zwei kleinere Städte und ein Atomkraftwerk im Südosten der Ukraine ein.

Auf ihrem Vormarsch stießen die russischen Soldaten weiterhin auf Gegenwehr der ukrainischen Streitkräfte. In der Nacht waren wieder Explosionen in der Hauptstadt Kiew und der zweitgrößten Stadt des Landes, Charkiw, zu hören. Kämpfe gab es auch im Südosten im Gebiet von Mariupol, wie der Regionalgouverneur mitteilte. Laut Nachrichtenagentur Interfax befand sich die Stadt Berdjansk am Asowschen Meer in der Hand des russischen Militärs. Auch hätten russische Truppen die Kontrolle über das Gebiet um das Atomkraftwerk Saporischschja übernommen, was ukrainische Stellen allerdings dementierten. Der ukrainische Generalstab erklärte, die russische Armee konzentriere sich derzeit auf die Region um die Stadt Tschernihiw nördlich von Kiew und Donezk im Osten.

Die ukrainische Seite berichtete von zahlreichen zivilen Opfern, weil auch Wohngebiete beschossen würden. Nach Angaben der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, wurden bei den Kämpfen bislang 102 Zivilisten getötet und 304 verletzt. Die tatsächlichen Zahlen dürften aber "erheblich höher" sein, sagte Bachelet in Genf. Jüngsten Zahlen zufolge seien in der Ukraine 422.000 Menschen auf der Flucht. UN-Generalsekretär Antonio Guterres warnte vor zunehmenden Menschenrechtsverletzungen. Die Vereinten Nationen würden diese mit Teams vor Ort beobachten. "Wir müssen allen Menschen in der Ukraine zeigen, dass wir in dieser Zeit der Not an ihrer Seite stehen." In New York sollte am Montag die UN-Vollversammlung zu einer seltenen Sondersitzung zusammenkommen.

Zum Auftakt der Verhandlungen an der belarussischen Grenze veröffentlichte das Außenministerium in Moskau Fotos der Delegationen, die sich an einem langen Tisch gegenübersitzen. Anwesend war auch der belarussische Außenminister Wladimir Makej, der die Delegationen im Namen von Präsident Alexander Lukaschenko begrüßte. Zugleich sagte er ihnen Sicherheit zu, wie das Minsker Außenministerium auf Twitter erklärte. Belarus ist ein enger Verbündeter Russlands, das das Nachbarland auch als Aufmarschgebiet für den Krieg in der Ukraine nutzt.

KREML: HABEN PLAN FÜR UMGANG MIT SANKTIONEN

Unterdessen bekam Russland die Folgen der vom Westen verhängten Wirtschafts- und Finanzsanktionen bereits zu spüren. Die Zentralbank in Moskau verdoppelte am Montag den Leitzins auf 20 Prozent von 9,5 Prozent. "Dies ist notwendig, um die Finanz- und Preisstabilität zu unterstützen und die Ersparnisse der Bürger vor Wertverlusten zu schützen", hieß es zur Begründung. Damit reagierte die Notenbank auf weitere Sanktionen der Europäischen Union, die sich auch gegen die Zentralbank selbst richten. Die Moskauer Börse blieb weitgehend geschlossen. Der Rubel stürzte auf ein Rekordtief. Bei russischen Staatsanleihen lösten die verschärften Sanktionen Panikverkäufe aus. Bereits am Sonntag hatten sich vor Bankautomaten in Russland vielerorts Schlangen gebildet.

Der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, sagte, Russland habe einen Plan zum Umgang mit den Sanktionen. Dieser werde nun angewendet. Ökonomen rechnen damit, dass die russische Wirtschaft um ein Fünftel einbrechen wird. In der Nacht hatte die EU beschlossen, Sanktionen gegen die russische Zentralbank in Kraft zu setzen, um die Finanzierung des Krieges zu erschweren. Die neuen Restriktionen sollen verhindern, dass Russland seine hohen Devisenreserven etwa in Euro, Pfund und Dollar nutzen kann. Großbritannien kündigte einen ähnlichen Schritt an, die USA wollen folgen. Japan und Südkorea schlossen sich dem Ausschluss Russlands aus dem internationalen Finanzabwicklungssystem Swift an. Südkorea verhängte zudem einen Exportstopp für Hochtechnologiegüter an Russland.

Auch bei Unternehmen und Privatbanken zeigten die Maßnahmen erste Wirkung. Einige europäische Tochterunternehmen der staatlichen russischen Sberbank sind nach Angaben der Europäischen Zentralbank zahlungsunfähig oder werden es demnächst sein. Der britische Ölkonzern BP kündigte an, seinen knapp 20-prozentigen Anteil an dem staatlichen russischen Energiekonzern Rosneft abzustoßen. Nach der Sperrung des EU-Luftraums für russische Flugzeuge strich die Fluggesellschaft Aeroflot alle Flüge nach Europa. Im Gegenzug sperrte Russland seinen Luftraum für Airlines aus Deutschland und 35 weiteren Ländern. Passagier- und Frachtflüge nach Asien müssen weitere südliche Routen nehmen, die Flugzeiten verlängern sich teilweise deutlich.