Von Stephen Wilmot

NEW YORK (Dow Jones)--Der Begriff "Deglobalisierung" ist in aller Munde. Doch eine Umkehr der Globalisierung wird wohl nicht passieren. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Handelsströme weiter umgeschichtet werden, was neue geopolitische Gewinner hervorbringt - wenn sie klug genug sind, die Vorteile zu nutzen.

Der Welthandel hat 2022 einige schwere Schläge einstecken müssen. Russlands Rohstoffströme nach Europa schrumpften auf ein Rinnsal. Lockdowns in China unterbrachen weiterhin die Lieferketten. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden führte umfangreiche Subventionen für die Herstellung von Halbleitern und Batterien für Elektrofahrzeuge in den USA ein - Industrien, die aktuell von Asien dominiert werden. Auf Unternehmensebene beschleunigte Apple nach den Unruhen im chinesischen Zhengzhou Pläne zur Diversifizierung der iPhone-Produktion weg von China.

Politiker preisen gerne die nationale Sicherheit und die Arbeitsplätze im eigenen Land an, aber das ist nicht leicht zu erreichen. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat bereits 2018 mit seinen Zöllen auf chinesische Produkte eine Welle an Diskussionen über eine Deglobalisierung ausgelöst. Bislang haben die Zölle dazu geführt, dass die US-Importe aus südostasiatischen Ländern wie Vietnam, Indonesien und Thailand auf Kosten Chinas zugelegt haben, anstatt die Importe insgesamt zu verringern.

In ähnlicher Weise hat der Ukraine-Krieg die globale Energielandkarte neu gezeichnet. Er verlagerte die russischen Energieexporte nach China sowie Indien um, und die europäischen Importe kommen inzwischen zumeist aus den USA und dem Nahen Osten, ohne die EU-Selbstversorgung zu verbessern. Europa möchte dies durch den Ausbau der erneuerbaren Energien ändern, doch ist das ein langfristiger Plan, der ironischerweise die Einfuhren von Nicht-Energie-Rohstoffen wie Kupfer erhöhen dürfte. Es ist bezeichnend, dass Windparkprojekte derzeit durch verschlungene globale Lieferketten sowie lokale Genehmigungsengpässe aufgehalten werden.


   Mexiko könnte auf die Überholspur wechseln 

Es ergibt Sinn, dass sich die Globalisierung nicht so einfach umkehren lässt. Die Rückkehr der Inflation seit der Pandemie erinnert uns daran, dass die Verbraucher die Kosten größerer Handelsbeschränkungen nicht so einfach akzeptieren. Subventionen können in einigen wenigen politisch sensiblen Branchen wie Mikrochips und Batterien den Ausschlag geben. Aber selbst dort werden sich neue Handelswege eröffnen oder bestehende ausweiten, um die bedrohten zu ersetzen. So dürften beispielsweise neue Batteriefabriken in den USA große Mengen Rohstoffe aus Bergbauregionen wie Australien, Chile und Kanada benötigen.

Als weiterer großer Gewinner des Handelskriegs zwischen den USA und China könnte sich Mexiko entpuppen. Das Land hat niedrigere Löhne als China, einen etablierten Produktionssektor, der sich auf die Automobilindustrie stützt, und die perfekte geografische Lage, um den US-Markt zu bedienen. Und das gilt insbesondere seit dem Aufkommen von Videokonferenzen, die die Bedeutung derselben Zeitzone erhöht haben. Analysten der Bank of America sehen bereits Anzeichen dafür, dass dies geschieht, da die US-Importe mexikanischer Industrieerzeugnisse im Oktober um etwa 60 Prozent höher ausfielen als vor der Pandemie. Interessanterweise hat Mexiko in einigen Low-Tech-Industriesektoren wie Kunststoffen und Textilien Anteile an den US-Importen gewonnen, während China Anteile verloren hat.

Das Problem ist, dass Länder, die China bei der Belieferung der USA ablösen wollen, möglicherweise viel investieren müssen. Chinas Aufstieg hatte nicht nur mit billigen Arbeitskräften zu tun. Professor Bob Koopman von der American University, ehemals Chefökonom bei der Welthandelsorganisation (WTO), weist darauf hin, dass Chinas moderne Infrastruktur ein wichtiger Faktor war, der globale Unternehmen dazu veranlasste, das Land als Produktionszentrum zu nutzen.

Auch die Politik vor Ort spielt eine Rolle. Chiles neue linke Regierung schlug im Sommer eine drastische Erhöhung der Bergbaugebühren vor, bevor sie sich im Oktober auf einen investitionsfreundlicheren Plan einließ.

Mexikos Streit mit den USA und Kanada über seine Energiepolitik, von der die Unternehmen nördlich der mexikanischen Grenze glauben, dass sie sie benachteiligt, unterstreicht das Risiko, dass das Land die heutige Chance als benachbarter Produktionsstandort (nearshoring) nicht voll ausschöpft.

Selbst die Länder, die am besten positioniert sind, um von den potenziell seismischen Veränderungen im Welthandel zu profitieren, werden sich anstrengen müssen.

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January 02, 2023 07:13 ET (12:13 GMT)