HANNOVER (dpa-AFX) - Mit Gewinnen auf Rekordniveau kann der Rückversicherer Hannover Rück seinen Rivalen in der Branche eine lange Nase machen. Während die Weltmarktführer Munich Re und Swiss Re seit Jahren gegen sinkende Profite ankämpfen, hielt sich der Branchendritte aus Hannover selbst im schwersten Naturkatastrophenjahr 2017 wacker. Und der Aktienkurs jagt auch unter dem neuen Vorstandschef Jean-Jacques Henchoz von Rekord zu Rekord. Was beim Unternehmen los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI DER HANNOVER RÜCK:

"Ein bisschen anders", beschreibt sich die Hannover Rück seit vielen Jahren in ihrem Werbespruch. Das soll weniger die Gewinnentwicklung beschreiben als vielmehr die Aufstellung. Der im MDax gelistete Konzern arbeitet besonders viel mit freien Maklern, statt sich ein weltweites Vertriebsnetz zu leisten. Gern hebt man in der Konzernzentrale daher die niedrigen Verwaltungskosten des Unternehmens hervor.

Zudem versteht sich die Hannover Rück als reiner Rückversicherer, der sich nicht wie Munich Re und Swiss Re nebenbei noch im Direktgeschäft mit Großkunden etwa aus der Industrie tummelt - was eigentlich Aufgabe von Erstversicherern wie Allianz oder Axa wäre. So etwas überlässt die Hannover Rück ihrem Mehrheitseigner Talanx, der vor allem mit seiner Marke HDI in diesem Segment weltweit aktiv ist.

Seit wenigen Monaten hat die Hannover Rück einen neuen Vorstandschef - und der kommt ausgerechnet vom größeren Rivalen Swiss Re. Der Schweizer Jean-Jacques Henchoz übernahm im Mai die Konzernführung von Ulrich Wallin, der die Hannover Rück seit der Finanzkrise 2009 auf Wachstum getrimmt hatte. So legten die Prämieneinnahmen in Wallins Amtszeit um rund 85 Prozent auf mehr als 19 Milliarden Euro zu.

Der Gewinn wuchs parallel dazu um rund die Hälfte auf fast 1,1 Milliarden Euro - trotz der anhaltenden Niedrigzinsen und eines jahrelangen Preiskampfs in der Branche. Für 2019 stehen dank eines 100 Millionen Euro schweren, positiven Sondereffekts als Gewinnziel rund 1,2 Milliarden Euro auf dem Zettel.

Eine Prognose für 2020 will der neue Chef Henchoz bei der Vorlage der Quartalszahlen am 6. November abgeben. Analysten gehen bereits davon aus, dass die Hannover Rück die 1,2 Milliarden oder mehr im nächsten Jahr auch ohne Sondereffekt schafft. Beim Branchentreffen in Monte Carlo schien dieser Gedanke auch Henchoz zu gefallen. Doch nach der Intervention eines Mitarbeiters ruderte er zurück und versicherte: Mit der Summe habe er doch das Jahr 2019 gemeint.

Einen größeren Strategieschwenk für das Unternehmen plant der neue Vorstandschef offenbar nicht. "Die Hannover Rück hat viele Eigenschaften, die mir sehr gefallen", sagte er vor wenigen Tagen der "Börsen-Zeitung". "Das Unternehmen bewegt sich in die richtige Richtung." Eigene Ideen hat er zwar auch. Wachstumsmöglichkeiten sieht er etwa bei der Cyber-Versicherung und in Asien. Grund zur Hektik sieht er aber nicht: "Ich nehme mir bis zum kommenden Jahr Zeit, um einige Vorschläge im Team zu erarbeiten."

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Hannover-Rück-Aktie befindet sich seit Wochen, Monaten und Jahren auf einem Höhenflug. Alleine in diesem Jahr legte der Kurs um rund ein Drittel zu - auf die Sicht von fünf Jahren betrug der Anstieg 150 Prozent und seit dem Zwischentief nach der Finanzkrise im Herbst 2009 hat sich der Kurs mehr als verzehnfacht. Mit diesen Zuwächsen liegt die Hannover-Aktie immer im Spitzenfeld des Eurozonen-Auswahlindex für Versicherer Stoxx 600 Insurance und deutlich vor den Rivalen Munich Re und Swiss Re.

Erst vor wenigen Tagen erreichte der Kurs des 1994 an die Börse gebrachten Unternehmens mit 160,30 Euro ein Rekordhoch. Zuletzt notierte das Papier nur knapp darunter. Neuen Schwung könnten die anstehenden Quartalszahlen und die Ziele für das kommende Jahr bringen.

Größter Nutznießer des Kursanstiegs ist der Erstversicherer Talanx. Das Unternehmen, vor allem durch seine wichtigste Marke HDI bekannt, hält etwas mehr als die Hälfte der Anteile an dem mit derzeit 19 Milliarden Euro bewerteten Rückversicherer. Allein diese Beteiligung kommt damit auf einen Wert von rund 9,5 Milliarden Euro und entspricht damit fast dem gesamten Börsenwert von Talanx. Dessen restliches Geschäft wird an der Börse praktisch mit nur rund einer Milliarde Euro bewertet.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Würden Aktienanleger auf die Mehrheit der Analysten hören, wäre der Höhenflug der Hannover-Rück-Aktie wohl schon längst zu Ende. Die überwältigende Mehrheit der bei dpa-AFX und Bloomberg erfassten Experten rät zum Halten oder gar zum Verkaufen der Papiere. Nur wenige Experten empfehlen, sich die Titel zum aktuellen Kurs neu ins Depot zu legen. Im Schnitt sehen die Experten die Aktie auf dem Weg in Richtung etwa 130 Euro. Dieses Niveau hat sie aber längst deutlich überschritten.

Nur zwei Experten trauen der Aktie noch mehr zu: Analyst Jochen Schmitt vom Bankhaus Metzler sieht noch etwas Luft nach oben bis 162 Euro, sein Kollege Dieter Hein von AlphaValue hat sogar 173 Euro auf dem Zettel. Kein Wunder, dass sie zu den drei Experten mit einer Kaufempfehlung zählen. Selbst Michael Haid von der Commerzbank, dessen Kursziel mit 155 Euro das dritthöchste in der Liste ist, rät nur noch zum Halten der Papiere.

Pessimistischer zeigte sich Ende Mai die britische Investmentbank HSBC, die den Aktienkurs absehbar nur noch bei 118 Euro sieht. Im europäischen Versicherungssektor gebe es bessere Anlagemöglichkeiten, argumentierte Analyst Dhruv Gahlaut. Er empfiehlt, die Aktien abzustoßen. Sein Kollege Sami Taipalus von der US-Investmentbank Goldman Sachs liegt mit seinem Mitte Oktober bestätigten Kursziel von 120 Euro nicht weit davon entfernt - und das, obwohl er seine Gewinnschätzungen für den Rückversicherer angehoben hat.

Experten erwarten, dass die Hannover Rück einen gehörigen Anteil der Schäden zu tragen hat, die Hurrikan "Dorian" in der Karibik und den USA sowie die Taifune "Faxai" und "Hagibis" zuletzt in Japan angerichtet haben.

Zweifel an der Gewinnentwicklung des Konzerns haben die Analysten aber kaum. Schon jetzt rechnen sie für 2019 im Schnitt mit einem Überschuss von 1,25 Milliarden Euro, es wäre der höchste in der Unternehmensgeschichte. Für 2020 gehen sie von einem ähnlichen Niveau aus. Experte Darius Satkauskas vom Analysehaus Keefe, Bruyette & Woods sagte er der Aktie zuletzt dennoch einen Kursrückgang auf 90 Euro voraus. Damit ist er so pessimistisch wie kein anderer von Bloomberg befragter Analyst./stw/zb/men/mis