Einige hätten sich sogar überrumpelt gefühlt, da Draghi Maßnahmen angedeutet habe, die der EZB-Rat erst noch hätte diskutieren sollen, erfuhr Reuters aus Gesprächen am Rande des Notenbankforums der Europäischen Zentralbank im portugiesischen Sintra. Aus der deutschen Politik gab es warnende Stimmen zu Draghis Vorstoß, in Italien wurde er indes positiv aufgenommen.

Der EZB-Präsident hatte am Dienstag in Sintra zusätzlichen geldpolitischer Anschub in Aussicht gestellt, wenn die Inflation weiterhin nicht anziehen sollte. Mögliche Schritte wie neue Anleihenkäufe, Zinssenkungen oder Änderungen am Ausblick seien bereits bei der jüngsten Zinssitzung erwähnt und diskutiert worden. Der Euro-Kurs war daraufhin unter die Marke von 1,12 Dollar gefallen, die Aktienmärkte hatten zugelegt. US-Präsident Donald Trump reagierte verärgert. Er twitterte, der billigere Euro erleichtere Europa den Konkurrenzkampf mit den USA und das sei unfair.[L8N23P584] Am Mittwoch zog die Gemeinschaftswährung allerdings wieder leicht auf Notierungen über 1,12 Dollar an.

Nach Informationen von sechs Insidern am Rande des Forums hatten Währungshüter nicht damit gerechnet, dass Draghi in seiner Rede so deutliche Signale sendet. Es gebe keinen Konsens, was den weiteren Weg betreffe. Mögliche Zinssenkungen und erneute Anleihenkäufe seien zuletzt lediglich kurz angesprochen worden. Eine substanzielle Diskussion darüber habe noch gar nicht gegeben. Den Insidern zufolge waren einige Euro-Wächter besorgt, dass Draghi den Finanzmärkten so starke Hinweise zu möglichen Maßnahmen liefere, dass sie dadurch praktisch vor vollendete Tatsachen gestellt werden könnten. Dann gebe es bei der nächsten Sitzung zur Geldpolitik am 25. Juli in Frankfurt womöglich kaum noch Chancen, nicht zuzustimmen.

KRITIK AUS DEUTSCHLAND

Der CSU-Finanzexperte Hans Michelbach warnte vor einer weiteren Lockerung der Geldpolitik. "Die offensichtlich unabgestimmte Äußerung von EZB-Präsident Mario Draghi zu neuerlichen geldpolitischen Maßnahmen ist ein Alarmsignal für die Seriosität der europäischen Notenbank", sagte er Reuters. Es sei offensichtlich Draghis Versuch, über das Ende seiner Amtszeit hinaus Fakten zu schaffen. "Das ist mehr als fragwürdig." Die Amtszeit des Italieners endet im Oktober.

Entweder sei die ökonomische Lage so gefährdet, dass Draghi diese Äußerungen machen musste, oder er denke nur an die Dinge, mit denen er in Erinnerung bleiben wolle, sagte der FDP-Finanzexperte Otto Fricke. "Ersteres wäre ein alarmierendes Signal, letzteres entspricht noch nicht einmal den Aufgaben des Präsidenten der EZB." Eine Sprecherin der Bundesregierung wollte zu Draghis Äußerungen unter Verweis auf die Unabhängigkeit der Notenbank nichts sagen.

Der Chef der italienischen Schuldenagentur, Davide Iacovoni, äußerte sich hingegen positiv. Sollten die Anleihenkäufe wieder aufgelegt werden, könnte das die gleichen Auswirkungen haben wie die Ankündigung der Käufe im Jahr 2014, sagte er in London. "Das wird die Situation im Primärmarkt für uns erleichtern." Die im Dezember beendeten Anleihenkäufe haben unter anderem für niedrige Anleiherenditen gesorgt und somit Italien günstige Refinanzierungsbedingungen beschert.