Frankfurt (Reuters) - Diskussionen über Zinssenkungen in der Euro-Zone sind aus Sicht von Bundesbank-Präsident Joachim Nagel derzeit noch nicht angebracht.

Die EZB sollte die Veröffentlichung wichtiger Daten abwarten, sagte Nagel am Montag zu Bloomberg-TV am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos. "Erstens ist es noch zu früh, um über Zinssenkungen zu sprechen, denke ich. Die Inflation ist immer noch hoch," erläuterte er. Deshalb kämen für ihn diese Diskussionen verfrüht. Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt zwei Prozent Inflation in der Euro-Zone als Optimalwert für die Wirtschaft an. Im Dezember lag die Teuerungsrate noch bei 2,9 Prozent. Im November hatte sie mit 2,4 Prozent niedriger gelegen.

"Vielleicht können wir somit bis zur Sommerpause warten, oder was immer, aber ich möchte nicht spekulieren", sagte Nagel. Die Börsen seien manchmal optimistisch und manchmal auch überoptimistisch. "Das ist ihre Sichtweise, ich habe eine andere Ansicht", erläuterte er. Von Sitzung zu Sitzung voranzuschreiten, sei der richtige Weg. Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann hält es sogar unter anderem angesichts der geopolitischen Unsicherheiten noch gar nicht für ausgemacht, dass die EZB dieses Jahr die Zinsen herabsetzen wird. "Wir sollten auf die Zinssenkung 2024 gar nicht bauen", bekräftigte Nagels EZB-Ratskollege frühere Aussagen von Ende Dezember in einem Interview mit der Agentur Bloomberg.

Am Finanzmarkt wird derzeit dagegen darauf spekuliert, dass die Währungshüter schon im März oder im April die Schlüsselsätze nach unten setzen. Am Geldmarkt wird momentan die Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung im März auf rund 27 Prozent und für die Sitzung im April auf rund 98 Prozent taxiert.

Unter anderem stünden Daten zur Lohnentwicklung im Währungsraum noch aus, sagte Nagel. Diese seien "ein wenig die große Unbekannte". "Ich würde gern sehen, wie sich die Löhne entwickeln könnten in der Euro-Zone in den nächsten zwölf Monaten." Sollte die Inflation nah an das zwei Prozent-Ziel herankommen, dann werde er womöglich seine Auffassung ändern. Aus seiner Sicht komme die Inflation erst Mitte 2025 nahe an diese Zielmarke heran. "Aber das ist noch ein langer Weg." Die Währungshüter sollten den Fehler vermeiden, zu früh die Zinsen zu senken. Solch ein Fehler sei in der Vergangenheit begangen worden. "Ich möchte diesen Fehler nicht wiederholen."

EZB-Chefvolkswirt Philip Lane hatte der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" jüngst gesagt, die Zentralbank werde bis Juni eine Entscheidungsgrundlage für mögliche Zinssenkungen haben. Wichtige Daten zur Lohnentwicklung in den Euro-Ländern lägen zur geldpolitischen Sitzung am 6. Juni vor. Lane brachte zudem die Möglichkeit einer Reihe von Zinssenkungen ins Spiel. Zugleich warnte aber auch er vor zu raschen Schritten.

(Bericht von Frank Siebelt, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)