FRANKFURT (Dow Jones)--Auf erhöhte Volatilität an den Finanzmärkten müssen sich Anleger in den kommenden Wochen einstellen. Denn nach einem Halbjahresultimo werden die Karten oft neu gemischt. Investoren sind auf der Suche nach neuen Themen - und werden damit auch großzügig bedient. Der Beginn von Gewinnmitnahmen bei US-Technologiewerten rund um Nvidia und Micron war schon ein erstes Warnsignal, dass "KI" als Schlagwort allein nicht mehr zieht.

Dass Börsianer in der Lage sind, sämtliche neuen Informationen aus Politik und Wirtschaft auch postwendend und korrekt zu verdauen, ist stark zu bezweifeln. Ständige Neubewertungen und Schwankungen dürfen die Folge sein; es ist damit sehr fraglich, ob sich das Chance-Risiko-Verhältnis für Aktienanleger über den Sommer überhaupt lohnt.


   Frankreich-Wahl nur für Europa wichtig 

Auf kurze Sicht steht für Europäer zunächst die Wahl in Frankreich am Wochenende im Fokus. Das Ergebnis könnte wegweisend sein für die deutsch-französischen Beziehungen, ihr Zusammenspiel in Europa und den gemeinsamen Außenauftritt der EU. Gerne vergessen bei den Politrisiken wird aber, dass schon eine Woche darauf in Großbritannien die nächsten Neuwahlen stattfinden. Aber beides zusammen verblasst auf internationaler Ebene gegen den US-Wahlkampf:

Dort hat am Donnerstagabend das erste Fernsehduell Schockwellen durch die Demokraten von Präsident Joe Biden gejagt. Der Regierende wirkte fahrig und unkonzentriert und machte keine gute Figur gegen einen dominant auftretenden Herausforderer Donald Trump. Die US-Börsen dürften nun damit beginnen, ihre aktuellen Positionen umzubauen und auf einen Trump-Sieg hin auszurichten. Für echtes Chaos an den US-Börsen könnte aber sorgen, falls sich die Demokraten dazu entscheiden sollten, Biden noch auf den letzten Meilen als Kandidat auszutauschen. Rechtlich wäre es möglich.


   Trump ist Risiko - China-Verhandlungen um Autozölle 

Für Europas Aktien wären aber alle Alternativen nicht gut, denn zahlreiche Marktbeobachter gehen davon aus, dass ein Trump-Sieg auch zu einem "Handelskrieg 2.0" mit China führen könnte. Abgesehen vom Überwachungsaufwand willkürlicher US-Regeln durch Europas Exporteure wäre eine der Hauptsorgen, dass Chinas Handelsströme in die EU umgeleitet würden.

Die Debatte um Strafzölle für chinesische E-Autos wäre dann nur der Anfang. Gerade bei diesem Thema gibt es aber Entspannung, vor allem dank der bedächtigen Reaktionen aus China. Von dort wurde signalisiert, dass die ausgestreckte Hand der EU für Verhandlungen angenommen und eine Interessensbalance angestrebt wird. Allerdings muss dies auch kommende Woche zu Ergebnissen führen, denn die EU hatte als Zeitlimit ebenfalls den 4. Juli gewählt.

Ob das konfuse Dazwischengrätschen des deutschen Bundeskanzlers hierbei Porzellan zerschlagen hat, ist noch nicht offensichtlich. Denn Olaf Scholz hatte eigene Vorschläge zur Auto-Besteuerung aufgebracht, die wiederum von der EU abgelehnt werden. Die Aktien der Autohersteller könnten daher im Wochenverlauf ziemlich volatil handeln.


   Chance auf glimpflichen Wahlausgang gut in Frankreich 

Kurzfristig werden sich Europas Börsen ab Montag aber erst einmal auf Frankreichs Wahlergebnis stürzen. Vergessen wird aber gern, dass es sich um zwei Wahlgänge handelt, mit dem letzten erst am 7. Juli. Von den linken und rechten Randparteien dürften daher kommende Woche keine radikalen Forderungen kommen. Im Gegenteil: Aus taktischen Gründen dürfte ein besonders konziliantes und staatsmännisches Auftreten gewählt werden. Die Börsen könnten sich dann zunächst in falscher Sicherheit wiegen.

Als Seismograph für die folgende Einschätzung der Lage zählen aber nur die Bonds, nicht die Aktien. Mit der steigenden Staatsverschuldung in Frankreich stehen vor allem einige unfinanzierbare Wahlversprechen der Parteien im Fokus. Die Strategen der Commerzbank sind hier aber eher entspannt und erwarten eine Krise bestenfalls beim unwahrscheinlichen Sieg des Linksbündnisses. Deren Versprechen würden den Haushalt noch mehr in Schieflage bringen.

Eine rechte Mehrheit dürfte zu Konflikten auf EU-Ebene führen, nicht aber zu einer neuen Schuldenkrise. Grund dürfte nämlich deren Plan sein, in drei Jahren die anstehenden Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Dazu könne man keine Turbulenzen an Europas Finanzmärkten gebrauchen, wird kolportiert.


   Bonds und Versorger-Aktien im Fokus 

Dazu kommt, dass das Erreichen einer Mehrheit im Parlament für jede Seite unwahrscheinlich ist. Damit ginge immer ein Zwang zu Kompromissen einher. Sollten sich Rechte und Linke gegenseitig in ihrer Handlungsfähigkeit blockieren, befürchten Strategen wie jene der Citi 5 bis 20 Prozent Abwärtspotenzial für die Bewertungen der Pariser Aktien.

Sollten die Rechten um Marine Le Pen klar gewinnen, sehen andere Analysten die ersten Maßnahmen ihrer Partei den Energiemarkt und damit die Aktien der Versorger betreffen. Unter anderem wurden eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Heizöl und Eingriffe in den Strommarkt, wahrscheinlich eine Preisbremse, angekündigt.

Sollte ein Wunder geschehen und Emmanuel Macrons gemäßigter Flügel gewinnen, dürften Europas Börsen dagegen eine Erleichterungsrally starten. Anders als institutionelle Anleger sollten Private ihren einzigen Vorteil nutzen und abwarten, bis sich der nachrichtliche Pulverdampf an den Börsen gelegt hat.

Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com

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June 28, 2024 06:31 ET (10:31 GMT)