Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Die geldpolitische Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) hat sich aus Marktsicht als Non-Event erwiesen. Die Minderheit an Beobachtern, die auf eine Reduzierung der PEPP-Käufe gesetzt hat, sieht sich getäuscht. Eine Verringerung der Wertpapierkäufe sei nicht einmal diskutiert worden, erklärte EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Nun richten sich die Blicke auf die geldpolitische Entscheidung der US-Notenbank am kommenden Mittwoch. Auch hier wird es keinen Exit geben - allerdings könnte ein solcher zumindest diskutiert werden.

Der Anstieg der US-Verbraucherpreise im Mai auf 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, was der höchsten Inflationsrate seit fast 13 Jahren entspricht, hätte eigentlich das Zeug dazu gehabt, einen Schock an den Märkten auszulösen. Es kam aber anders: Die Renditen an den US-Anleihemärkten zuckten nur kurz nach oben, bevor sie sogar unter das Niveau von vor der Datenveröffentlichung rutschten. Mit derzeit 1,44 Prozent rentieren 10-jährige US-Staatsanleihen aktuell weit unter den Jahreshochs von fast 1,80 Prozent.


   US-Notenbank kann hohe Inflation nicht völlig ignorieren 

Eine möglich Erklärung wäre, dass die Börsen der Narrative der Zentralbanken Glauben schenken, die immer wieder betonen, dass sich die hohe Inflation als temporär erweisen wird. Allerdings äußern immer mehr Analysten wie auch Fed-Offizielle Zweifel, dass dies tatsächlich so sein wird. Eine andere Erklärung wäre die, dass die Märkte davon ausgehen, dass die Zentralbanken auch bei höheren Inflationszahlen ihre Käufe nicht reduzieren werden, um einen ungewollten Anstieg der Marktzinsen zu vermeiden.

Die Fed-Sitzung in der kommenden Woche wird also spannend werden. Anders als die EZB hat die US-Notenbank ein doppeltes Mandat, nämlich das der Preisstabilität wie auch der Stabilität am Arbeitsmarkt. Nachdem die jüngsten US-Arbeitsmarktberichte die Erwartungen nicht erfüllt haben, ist eine Verschärfung der geldpolitischen Gangart zum jetzigen Zeitpunkt so gut wie ausgeschlossen. Andererseits kann die Fed den in der Zwischenzeit weit über das Inflationsziel gestiegenen Preisdruck auch nicht völlig ignorieren.


   Fed fürchtet ein neues Taper-Tantrum 

"Darum hat die Fed offenbar entschieden, das Tapering früher in Angriff zu nehmen als zunächst geplant. Die verschiedenen Äußerungen der Fed-Oberen in der letzten Zeit lassen sich als Versuchsballons interpretieren, um die Marktreaktion auf das geänderte Umfeld zu testen", so die Commerzbank. Die US-Notenbank dürfte dabei sehr vorsichtig vorgehen, da sie das sogenannte "Taper-Tantrum", also die Verwerfungen an den Märkten 2013, als die Fed eine Reduktion der Wertpapierkäufe ankündigte, sicherlich nicht vergessen hat.

Nach Einschätzung der Commerzbank wird die Fed wohl nächste Woche einen kleinen Schritt in Richtung eines Ausstiegs aus ihrem Anleihenkaufprogramm machen. Zwar werde es im nach der Sitzung veröffentlichten Statement keine entsprechenden Hinweise geben. Fed-Chef Jerome Powell dürfte aber genug Spielraum sehen, um bei der Pressekonferenz zumindest einzuräumen, dass über die Frage eines Ausstiegs diskutiert worden sei. Die Commerzbank geht davon aus, dass die Käufe erst zur Jahreswende zurückgefahren werden.


   Wirtschaftliches Umfeld spricht für DAX über 16.000 Punkten 

Allerdings wird der Markt schon früher damit beginnen, den geldpolitischen Wechsel einzupreisen. Einige Marktbeoachter schließen daher nicht aus, dass die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen in den kommenden Monaten auf neue Jahreshochs steigen wird. Ob und wie stark die Börsen darunter leiden werden, hängt vor allem vom Tempo des Anstiegs ab. Einen vergleichbaren Anstieg der Marktzinsen dürfte die EZB zwar unterbinden, noch haben die US-Börsen weltweit aber Leitfunktion.

Es ist schwer vorherzusehen, wie die Börsen in der kommenden Woche reagieren werden. Sie könnten Hinweise auf den Beginn der Tapering-Diskussion innerhalb der Fed als Korrektursignal aufnehmen oder aber sich damit trösten, dass es bis zu einer Tapering-Ankündigung noch einige Monate dauern wird. Dann bestehen angesichts des günstigen wirtschaftlichen Umfelds und den weitreichenden Lockerungen gute Chancen, dass der DAX die 16.000er-Marke knacken wird. Im zweiten Halbjahr dürfte es dann auf jeden Fall wieder volatiler zugehen.

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June 11, 2021 07:30 ET (11:30 GMT)