Von Thomas Leppert

FRANKFURT (Dow Jones)--Nach der 2023er Weihnachtsrally haben die Kurse am deutschen Aktienmarkt inzwischen etwas Luft abgelassen. Seit Jahresultimo notiert der DAX ein knappes Prozent im Minus, was kein Beinbruch ist. Weiterhin besteht einen starke Abhängigkeit von der Zinsentwicklung. Steigende Zinsen werden weiterhin als Belastungsfaktor gesehen. Unternehmen kommen mit schnellen Preisveränderungen schwer zurecht, egal ob bei Zinsen, Grundstoffen, Währungen oder Personalkosten. In den kommenden Monaten sollte es hier aber kaum noch zu Überraschungen kommen, allenfalls bei den Tarifverhandlungen. Die Marktstrategen der DZ Bank gehen derweil davon aus, dass die DAX-40-Unternehmen mit den Unwägbarkeiten gut umgehen können und erwarten den Index bis Jahresende auf Allzeithoch.


 
   EZB-Sitzung der Top-Termin der Woche 

Nachdem auf der Dezember-Sitzung der Europäischen Zentralbank nicht über Zinssenkungen gesprochen wurde, dürfte es am kommenden Donnerstag das bestimmende Thema werden. Kaum tritt ein Notenbanker momentan an ein Mikrofon, geht es um das Thema: Wann erfolgt die erste Zinssenkung? Fakt ist, dass die Tauben und Falken im EZB-Rat auf absehbare Zeit keinen Konsens finden. Kommende Woche dürfte daher nochmals auf die Datenabhängigkeit verwiesen werden, vor allem eben auf die Tarifabschlüsse.

Ulrike Kastens, Volkwirtin Europa bei der DWS, erwartet eine erste Senkung der Leitzinsen im Juni 2024, wenn die Daten zur Lohnentwicklung im ersten Quartal vorliegen und mehr Klarheit über den Inflationstrend im laufenden Jahr herrscht. Nach wie vor teilt die DWS den Optimismus vieler Marktteilnehmer nicht, dass die EZB die Leitzinsen sehr schnell und sehr deutlich senkt. Da die Notenbanker auf jeden Fall Fehler vermeiden wollen, sei von graduellen Zinssenkungen in diesem Jahr auszugehen.

Die teils hohen Markterwartungen an Zinssenkungen haben die Notenbanker in den vergangenen Wochen mit ihren verbalen Interventionen bereits gut eingefangen. Wurde am Terminmarkt in der Spitze von bis zu sieben Zinssenkungen ausgegangen, sind es nunmehr noch vier. Auch der Beginn des Zinssenkungszyklus hat sich nach hinten verschoben, so wird mehrheitlich von einer ersten Zinssenkung im Juni ausgegangen. Das Überraschungspotenzial von Seiten der Zinspolitik hat sich minimiert, allenfalls die Frage ist erlaubt, warum die Notenbanker so lange gewartet haben, um vor die Mikrofone zu treten. Seit Jahresbeginn geben sich die Emittenten am Primärmarkt die Klinke in die Hand, bisher wird das Angebot gut von Investoren nachgefragt, meistens sind die Anleihen mehrfach überzeichnet.


 
   US-Wahlen werfen Schatten voraus 

Am 5. November wird in den USA gewählt. Das beschäftigt die Anleger schon heute, denn Wahljahre in den USA haben besondere Regeln an der Börse. Nach dem deutlichen Vorsprung von Donald Trump bei der ersten Vorwahl der Republikaner in Iowa wird an der Börse davon ausgegangen, dass es zu einem erneuten Showdown zwischen Joe Biden und Trump kommt. Für Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank, hat sich mit einer nun möglichen zweiten Amtszeit von Trump aus Marktsicht die Unsicherheit bezüglich der künftigen US-Handelspolitik erhöht. Insbesondere könnte es zu einer Zunahme protektionistischer Maßnahmen aufgrund des hohen Handelsbilanzdefizits der USA gegenüber China und der Europäischen Union kommen. Dies würde deren exportorientierte Wirtschaften und voraussichtlich auch deren Währungen belasten.

Die Investment Manager von Nuveen sehen in einer defensiven Positionierung in diesem Wahljahr einen guten Ansatz. Saira Malik, CIO bei Nuveen, hält es für wahrscheinlich, dass die Fed den Finger bis zur zweiten Jahreshälfte auf dem "Pausenknopf" belässt - ein Szenario, das die Volatilität an den Aktienmärkten über die mögliche politische Unsicherheit im November hinaus erhöhen könnte. Ein defensives Portfolio sollte daher in diesem Wahljahr ein guter Ansatz sein. Gegenwärtig biete es sich an, defensivere, weniger konjunktursensible Bereiche auszuwählen, statt sich auf zyklische Engagements zu konzentrieren. Dazu gehören Marktbereiche wie US-Unternehmen mit stetigem Dividendenwachstum und globale Infrastruktur. Sowohl Dividendenwerte als auch globale Infrastrukturaktien haben in der Vergangenheit Abwärtsmärkte relativ gut überstanden.


 
   DZ erwartet neues Allzeithoch im DAX 

Die Marktstrategen der DZ Bank hatten vergangenes Jahr ein gutes Händchen bewiesen, was ihre DAX-Prognosen betraf. Im August erhöhten sie das Jahresendziel auf 17.000 Punkte, damals notierte der Index bei rund 15.800 Zählern und beendete das Jahr rund 1.000 Punkte höher - und lieferte damit eine Punktlandung. Die neue Prognose schraubt das Jahresendziel 2024 nun auf 18.200 Punkte. Die Argumente ähneln sich. Zum einen verweisen sie auf eine hohe Liquidität bei den Investoren, die angelegt werden will. Allein in US-Geldmarktfonds - also kurzfristigen Zinsanlagen - steckten 6 Billionen US-Dollar für Umschichtungen in rentierlichere Anlagen wie Aktien. Zudem liege das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis aller DAX-Unternehmen mit einem Wert von 12,2 unter dem historischen Durchschnitt. Sollte sich die Konjunktur nur leicht erholen, ergebe sich daraus enormes Kurspotenzial. Bei den deutschen Global Playern stellt die DZ Bank zudem eine gewisse Krisenresistenz fest, da die Verkaufszahlen in den Hauptabsatzmärkten weiter stimmten. Weiterhin beflügelt durch das Top-Thema Künstliche Intelligenz zieht auch Big Tech 2024 weiter nach oben - an der Wall Street, wo die "Magnificent Seven" zu Hause sind.

Kontakt zum Autor: thomas.leppert@wsj.com

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January 19, 2024 06:01 ET (11:01 GMT)