Von Herbert Rude

FRANKFURT (Dow Jones)--Die neue Abwärtswelle des DAX dürfte sich voraussichtlich auch in der kommenden Woche fortsetzen. Mit der Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) haben die Belastungsfaktoren stark zugenommen. Zum einen hat die EZB die Märkte darauf vorbereitet, dass sie die Leitzinsen schneller und stärker erhöhen könnte als bisher erwartet. Zum anderen beendet sie ihr Anleihenkaufprogramm zum 1. Juli. Das war zwar erwartet worden, führte aber trotzdem zu starken Turbulenzen an den Rentenmärkten: "Das Monster kehrt zurück", titelt so auch Martin Utschneider vom Bankhaus Donner & Reuschel.

Zwar setzt er ein Fragezeichen hinter die These. Die Gefahr ist aber unübersehbar, dass sich das Inflationsgespenst in ein - wie Utschneider sagt - "ausgewachsenes Monster aus Schuldenkrise und weiter ansteigenden Preisen verwandeln könnte". Zumindest die Angst ist bereits wieder da, die Angst vor einer Rückkehr der Euro-Schuldenkrise. Dafür steht beispielhaft das Auseinanderdriften der Renditen für deutsche und italienische Staatsanleihen. Zurückgekehrt ist das Monster vielleicht noch nicht, aber es steht bereits vor der Tür. Nun rächt sich, dass die Peripherie die Niedrigstzinsphase nicht zur Sanierung der Staatshaushalte genutzt, sondern sogar noch weitere Schulden angehäuft hat.


 Verzweifelt gesucht: Das Antifragmentierungs-Instrument 

Jim Reid von der Deutschen Bank verweist darauf, dass nach wie vor Instrumente fehlen, die einer erneuten Fragmentierung der Eurozone entgegensteuern. Solche Tools seien "unausweichlich". Sie erforderten aber eine gehörige Portion "Market-Stress", damit sie politisch und juristisch durchsetzbar seien. Und "Market-Stress" kann nur eines bedeuten: Keine guten Aussichten für die Aktienmärkte. Die Frage, wer solch ein Tool denn bezahlt, erübrigt sich vermutlich.

Der DAX hatte es wohl schon geahnt, dass die EZB höchstens Danaergeschenke für ihn bereit halten würde. Nach dem Zweimonatshoch mit Ständen über 14.700 Punkten am Pfingstmontag ging ihm schon vor der EZB-Sitzung die Luft aus. Danach ging er dann fast in den freien Fall über. Damit ist auch klar, dass es sich bei dem Anstieg um 1.400 Punkte seit dem Mai-Tief um eine klassische Bärenmarktrally gehandelt hat.


 DAX nun wieder vom Dow abhängig - Relative Stärke vorbei 

Nun hängt der DAX wieder an der Wall Street, die Phase der Relativen Stärke Europas dürfte zu Ende sein. Aus technischer Sicht liegen im DAX im Bereich 13.800 bis 13.500 Punkte erste Unterstützungen. Auf Widerstand dürfte er nun wieder im Bereich zwischen 14.200 und 14.300 Punkten treffen. Die Hoffnung liegt nun darin, dass nach DAX und Euro-Stoxx-50 auch die Wall Street endlich eine Bärenmarktrally startet, die den Namen verdient und Europa dann stabilisiert oder sogar nach oben zieht.

Anlass könnte ein Wende bei den Ölpreisen sein, und damit verbunden ein Rückgang der langen US-Renditen, aber auch die Sitzung der US-Notenbank (Fed) am Mittwoch. Eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte gilt als ausgemachte Sache. Aktuell liegen die Zinserwartungen des Markts deutlich über den Projektionen der Fed. Sollte die US-Notenbank die Märkte hier beruhigen, könnte das stützen. Möglicherweise gießt sie wegen der hohen Inflation aber auch Öl ins Feuer, so wie die EZB.


 Verfall und Index-Revirements im Blick 

Häufig haben in der Vergangenheit Verfallstage dem DAX signifikante Tiefs oder Hochs beschert, vielleicht wird das auch am kommenden Freitag so sein. Dann stehen zu den Schlusskursen auch die Index-Revirements im Blick, an der Spitze mit dem Wiederaufstieg von Beiersdorf in den DAX, wofür Delivery Hero weichen muss. In den MDAX rücken Encavis auf, und in den TecDAX Hensoldt. Im Stoxx-50 weichen Adidas den Aktien des Rohstoff-Händlers Glencore.

Daneben stehen am Dienstag die US-Erzeugerpreise im Blick. Am Mittwoch gibt es Zahlen zur chinesischen Industrieproduktion sowie die Konjukturprognose des ifo-Instituts, am Nachmittag dann die wichtigen US-Einzelhandelsumsätze und am Abend die Fed-Entscheidung. Am Donnerstag steht der Konjunkturindex der Notenbankfiliale in Philadelphia auf dem Kalender, vielleicht der wichtigste US-Sentiment-Indikator überhaupt.

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June 10, 2022 06:45 ET (10:45 GMT)