Berlin (Reuters) - Der Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann sieht die Chancen von künstlicher Intelligenz vor allem in der Steigerung von Effizienz.

"Das ist der nächste Quantensprung in Sachen Produktivität und damit auch eine Quelle von gesamtwirtschaftlichem Wachstum", sagte Konzern-Finanzchef Rolf Hellermann in einem am Montag veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. Allerdings gebe es auch Risiken in puncto Fake News. "Die größte Gefahr sehe ich darin, dass die Wahrheit unter die Räder kommen könnte", sagte der 46-Jährige, der im Konzernvorstand auch für den Bereich Tech&Data zuständig ist. "Es wird immer schwieriger zu erkennen, ob eine Nachricht, ein Text oder Bild tatsächlich der Wahrheit entspricht."

Die Rolle von Qualitätsjournalismus werde noch wichtiger werden. "Als Medienfirmen haben wir eine große Verantwortung für kuratierte und fakten-gecheckte Inhalte", betonte Hellermann. "Denn KI-Algorithmen neigen ja mitunter dazu, Dinge zu erzählen, die stimmen könnten oder gar nicht stimmen."

Sogenannte generative KI - also Programme wie ChatGPT, die menschliche Interaktionen simulieren und anhand von Stichworten Texte oder Bilder erstellen können - werfe vor allem für die kreative Community viele Fragen auf, sagte Hellermann. "Was ist mit der Urheberschaft an KI-basierten Inhalten?" Diese stammten letztlich von Modellen, die mit Daten trainiert worden seien, welche wiederum urheberrechtlich geschützt sein könnten. "Auch bei Autoren, KI-basierter Musik oder KI-geschriebener Musik haben wir das sehr genau im Blick", erläuterte der Manager.

Zu Bertelsmann gehören auch Penguin Random House als weltgrößter Verlag und die Musiktochter BMG. Als Medienfirma müsse man Interessen und Rechte seiner Künstler vertreten und schützen, sagte Hellermann. "Die Frage des Urheberrechts ist schwierig und wird sicher auch Gesetzgeber und Gerichte beschäftigen." Größter Umsatzbringer bei Bertelsmann ist die Fernsehtochter RTL Group mit über 50 TV-Sendern und 36 Radiostationen.

Bertelsmann sieht bei künstlicher Intelligenz mehr Chancen als Risiken, signalisierte Hellermann. "Die große Disruption ist, dass KI-Anwendungen so unglaublich schnell marktreif geworden sind." Zum Einsatz kommen neue Techniken etwa bei der automatisierten Synchronisation von TV-Shows. "Lippenbewegungen werden an die Sprache angepasst und nicht umgekehrt." So werde das Video verändert und nicht nur die Audiospur. "Wir experimentieren damit." Das sei relevant für die RTL-Produktionstochter Fremantle." Die Service-Tochter Arvato helfe Kunden, Prozesse auch mittels KI-gestützter Dienstleistungen zu verbessern. "Das betrifft natürlich auch unsere eigenen Geschäftsabläufe", räumte Hellermann ein.

KOPF IN DEN SAND? "DANN WERDEN WIR SCHNELL ABGEHÄNGT WERDEN"

Branchenkenner gehen davon aus, dass viele Jobs bei Bertelsmann und anderen Konzernen etwa in der Buchhaltung durch Automatisierung künftig wegfallen könnten. Dies dürfte einigen Firmen sogar gelegen kommen, da sie den Fachkräftemangel spüren.

Fachleute sehen das Risiko, dass günstige, KI-produzierte Inhalte den Medienfirmen Leser und Hörer abspenstig machen. Dies würde bei Bertelsmann Musik, Bücher und Nachrichteninhalte betreffen. In der Branche gehen viele Experten davon aus, dass der Einsatz von Chatbots und KI Dienstleistungen rund um den Kundendienst revolutioniert und zu mehr Automatisierung führt. Bertelsmann ist dabei, seine Anteile von 39,5 Prozent am Callcenter-Betreiber Majorel an die französische Firma Teleperformance zu verkaufen. Vor dem Hintergrund zunehmender KI-Anwendungen könnte dies ein guter Zeitpunkt sein.

Bertelsmann ist selbst an mehr als 20 KI-Unternehmen beteiligt. "Wir machen das aus finanziellem Interesse, aber auch, um uns über die Entwicklung auf dem Markt zu informieren, und zu schauen, welche Dinge für unsere Geschäfte einsetzbar sind", sagte der Finanzchef. "Viele dieser Modelle werden wir auf der Anwenderseite sicher auch als Kunde nutzen."

Bei der Regulierung müsse die EU zwar einen den gesetzlichen Rahmen vorgeben, sagte Hellermann. "Aber das Korsett darf auch nicht zu eng sein - etwa bei zu strikt gesetzten Datenschutzbestimmungen." Denn die Unternehmen müssten sich auch weiterentwickeln können, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. "Wenn wir unseren Kopf jetzt einfach in den Sand stecken, alle anderen machen lassen und uns nicht damit beschäftigen, dann werden wir schnell abgehängt werden."

(Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von Klaus Lauer