Von Jimmy Vielkind

MAGDEBURG (Dow Jones)--Intel braucht nach eigenen Angaben rund 3.000 Arbeitskräfte zum Betrieb der geplanten Halbleiterfabrik, die bis Ende des Jahrzehnts in Sachsen-Anhalt entstehen soll. Die Regierung propagiert die Intel-Investition als Game Changer und unterstützt das Projekt mit Zuschüssen in Höhe von insgesamt 10 Milliarden Euro, die der Wirtschaft helfen würden, sich auf neue Industrien zu konzentrieren. Die Subvention ist Teil einer EU-Initiative, die Brüssel diesen Sommer vorstellte, um den Anteil Europas an der weltweiten Chipproduktion zu verdoppeln und damit etablierten Herstellern in Asien das Wasser zu reichen.

Vor Ort stoßen dieses und ähnliche Projekte jedoch auf Hürden wie Fachkräftemangel und eine teilweise überbordende Bürokratie. Hohe Energiepreise sind einer der Gründe dafür, dass die deutsche Wirtschaft seit Ende vergangenen Jahres stagniert und in diesem Jahr voraussichtlich schrumpft.

Die Probleme werfen Fragen darüber auf, ob Europa in der Lage ist, bei Produktionsanreizen der US-Regierung mitzuhalten. Für Deutschland, das europaweit einen vergleichsweise großen Teil seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) mit der Industrie erwirtschaftet, ist der Ausbau der Halbleiterproduktion von entscheidender Bedeutung.


   Industriestrom spaltet die Ampel 

Um seine Fabrik in Magdeburg zu besetzen, will Intel Auszubildende aus der Region fürs dritte Jahr in seine Fabrik in Irland schicken. Der Konzern und Lokalpolitiker räumten ein, dass es in Magdeburg vor Ort keine geeignete Alternative gebe.

Der Bedarf des Unternehmens an günstigem Strom hat eine landesweite Debatte über Industriestromsubventionen ausgelöst, die die Regierungskoalition von Bundeskanzler Olaf Scholz spaltet. Die erforderlichen Modernisierungen von Schulen, Wohnraum und Verkehrsinfrastruktur zur Unterbringung der neuen Arbeitnehmer sowie ihrer Familien könnten eine zusätzliche Milliarde Euro kosten. Und das Projekt könnte den Charakter dieser ehemaligen Industriestadt für immer verändern.

Die großen deutschen Automobilhersteller mussten vor einigen Jahren ihre Produktion wegen eines plötzlichen Mangels an Halbleitern stilllegen, was die Abhängigkeit der Branche von US-amerikanischen und asiatischen Zulieferern verdeutlichte. Seitdem haben Politiker und Branchenmanager geschworen, die Hersteller widerstandsfähiger zu machen, indem sie ihre Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten verringern. Berlin fördert außerdem eine Fabrik, die die Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC) in der Nähe von Dresden bauen will. Die Anreize sind umstritten. Sowohl Mittelstandsvertreter als auch der Konkurrent Globalfoundries beklagen sich darüber, dass so viel Geld an das US-Unternehmen Intel fließt.


   Intel-Fabrik laut Ökonomen kein Allheilmittel 

Der Ökonom Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, argumentiert, die Subventionierung von Fabriken würde die Probleme nur weiter nach unten in der Lieferkette verschieben. Die öffentlichen Ausgaben würden die strukturellen wirtschaftlichen Schwächen der Region nicht beheben. "Der Arbeitsmarkt ist angespannt, und das wird ihn noch stärker anspannen", sagte Gropp. Intel hat in Magdeburg bereits ein Büro eröffnet und eine Charme-Offensive gestartet. Unternehmensvertreter haben auf Gemeindefesten Stände aufgebaut und Gespräche mit Vertretern aus Politik und Verwaltung geführt. Ein mit Logo versehenes Trikot löste sogar Spekulationen aus, dass das Unternehmen den örtlichen Fußballverein sponsern könnte.

Bernd Holthaus, der für die Personalbeschaffung im Werk zuständige Intel-Manager, war Teil des Gremiums, das Magdeburg auswählte. Das Unternehmen habe sich vor allem für die Stadt entschieden, da dort 1.100 Hektar zur Verfügung stünden und über Straße und Fluss versorgt werden könnten. Im kommenden August sollen zunächst 20 Auszubildende aufgenommen werden. Die Zahl werde sich irgendwann verzehnfachen, sagte IHK-Vertreterin Stefanie Klemmt. Ursprünglich hatte das Unternehmen geplant, die Produktion im Jahr 2027 aufzunehmen. Die nahgelegene Otto-von-Guericke-Universität startet in diesem Jahr einen Studiengang für fortgeschrittene Halbleiter-Nanotechnologien und plant die Einstellung mehrerer engagierter Professoren, wie Uni-Präsident Jens Strackeljan sagte.


   Gemischtes Echo in der Stadt 

Strackeljan fügt hinzu, dass er Pläne für den Bau eines Reinraums - eines Labors, in dem Studenten die Chipproduktion üben können - für etwa 30 Millionen Euro ausgearbeitet habe. Diese Pläne würden aber möglicherweise zugunsten einer größeren Anlage verworfen, die das Unternehmen vorgeschlagen habe. Strackeljan ist sich nicht sicher, wie er die zusätzlich benötigten Mittel aufbringen kann.

Der 34jährige Alexander May hat Systemtechnik studiert. Und er ist einer der beiden Studenten, die jetzt an der Universität ein Studium zum Halbleitertechniker absolvieren. Er wuchs in Magdeburg auf und schwärmt davon, dass Intels Pläne ihn so optimistisch gestimmt hätten, in der Stadt zu bleiben.

Andere Magdeburger sind von der neuen Anlage nicht begeistert. Angela Stephan, eine pensionierte Anästhesistin, befürchtet, dass die Fabrik umliegende Bauernhöfe verdrängen, mehr Verkehr mit sich bringen und die Wasserversorgung unterbrechen würde. "Intel ist zu groß für uns", klagt sie.


   AfD in Magdeburg auf dem Vormarsch 

Die AfD ist stark in der Region. Laut einer Juni-Umfrage von Insa erreicht sie in Sachsen-Anhalt 29 Prozent Zustimmung und ist damit die zweitbeliebteste Partei - nur zwei Prozentpunkte hinter der CDU. Eine mögliche Feindseligkeit gegenüber Ausländern in der Region könnte ein Problem für Intel bedeuten. Holthaus schätzt, dass 30 bis 40 Prozent der neuen Arbeitskräfte des Unternehmens aus dem Ausland kommen würden.

Die Stromkosten bereiten den Führungskräften von Intel weitere Sorgen, wo ähnliche Anlagen jedes Quartal etwa 300 Millionen Kilowattstunden Elektrizität verbrauchen. Und die durchschnittlichen Stromkosten für Großverbraucher in Deutschland lagen im zweiten Halbjahr 2022 bei 19 Cent pro Kilowattstunde - laut EU-Daten mehr als 40 Prozent höher als in Frankreich und Polen.


   Hoffen auf Ökostrom 

Vizebürgermeisterin Sandra Yvonne Stieger arbeitet seit zwei Jahren daran, das Werk nach Magdeburg zu bringen. Sie schwärmt, Sachsen-Anhalt verfüge über viele Möglichkeiten zur Erzeugung erneuerbarer Energien. Und Vertreter von Stadt und Land wollen dem Unternehmen beim Bau eines eigenen Windparks helfen. Stieger räumt jedoch ein, es gebe noch keine konkreten Pläne für eine solche Anlage. Andere Regionen Ostdeutschlands hatten einige Erfolge bei der Anziehung US-amerikanischer High-Tech-Hersteller. In Grünheide bei Berlin eröffnete Tesla im vergangenen Jahr seine erste europäische Fabrik.

Beamte vor Ort nutzten eine beschleunigte Gesetzgebung, um dem Autohersteller zu helfen, und Tesla riskierte viel, indem der Konzern mit dem Bau begann, bevor die endgültigen Umweltgenehmigungen erteilt wurden. Mittlerweile werden in der Anlage wöchentlich 5.000 Autos produziert. Dennoch pausierte Tesla im vergangenen Jahr wegen steigender Stromkosten den Ausbau der Batterieproduktion am Standort.

Die Regierung hat die Subventionierung der Stromkosten für wichtige Industriekunden erörtert, den Plan jedoch bisher nicht angenommen. Kritiker nennen es "Intels Gesetz", doch das Unternehmen hat dazu keine Stellung bezogen. Laut Stieger kommen Verbesserungen der Infrastruktur der Region, von Abwasserkanälen bis hin zu Stromleitungen, allen zugute, nicht nur Intel. "Wenn wir wieder in Deutschland produzieren wollen, müssen wir dafür bezahlen. Vielleicht ist es nicht billig, aber auf lange Sicht ist es notwendig."

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

DJG/DJN/axw/mgo

(END) Dow Jones Newswires

September 26, 2023 04:34 ET (08:34 GMT)