Von Stephen Wilmot

IRVINE (Dow Jones)--Wenn das Elektroauto-Startup Rivian auch nur annähernd die bei seinem Börsengang angestrebte Bewertung rechtfertigt, bekommt Detroit ein echtes Problem. Das Unternehmen, das im September seine ersten Fahrzeuge auslieferte, startete am Dienstag mit seiner Roadshow für Investoren, bevor es nächste Woche an die Börse geht. Am Montag gab Rivian eine Preisspanne von 57 bis 62 US-Dollar je Aktie bekannt. In der Mitte entspricht dies einem Marktwert von etwa 51 Milliarden US-Dollar, wenn man die Mindestanzahl der nach dem Börsengang erwarteten ausstehenden Aktien zugrunde legt. Am oberen Ende und unter Berücksichtigung des Verwässerungseffekts durch Aktienoptionen würde die Bewertung 60 Milliarden US-Dollar übersteigen.

Für Rivian könnte der Zeitpunkt kaum günstiger sein. Inmitten einer neuen Welle der Begeisterung für EV-Aktien stieg der Marktwert von Lucid, Rivians engstem börsennotierten Konkurrenten, letzte Woche um 53 Prozent und erreichte rund 60 Milliarden US-Dollar auf unverwässerter Basis. Beide Unternehmen haben gut getestete Produkte auf den Markt gebracht, befinden sich aber noch in der risikoreichen Phase des Produktionsanlaufs.

Für einen Investmentbanker, wie auch für einen Immobilienmakler oder Kunsthändler, ist der Preis die Summe, die jemand zu zahlen bereit ist. Die jüngste Bewertung von Lucid lässt die Spanne des Börsengangs von Rivian fair, ja sogar vernünftig erscheinen. Letztlich macht eine Bewertung von 50 Milliarden US-Dollar für Rivian aber nur Sinn, wenn das Unternehmen sehr schnell wächst.

Da der Automobilmarkt gesättigt und ausgereift ist, kann das nur eines bedeuten: den etablierten Unternehmen in größerem Umfang Marktanteile abzunehmen. Das erste Fahrzeug von Rivian ist ein Pickup. Bis Ende des Jahres will das Startup die Produktion eines Sport Utility Vehicle und eines Lieferwagens für seinen größten Aktionär Amazon aufzunehmen. Beide Arten von Fahrzeugen sind die großen Geldbringer in Detroit.


   Rivian setzt die Großen unter Druck 

Rivian greift General Motors, Ford und den Chrysler-Eigentümer Stellantis auf eine Weise an, wie es Tesla mit seinen sportlichen Limousinen nie getan hat. Fords potenzieller Gewinn in Höhe von sechs Milliarden US-Dollar als Ergebnis seiner frühen Investition in Rivian ist wenig im Vergleich zu dem, was die Marke zu verlieren hat, wenn das Startup sein Versprechen hält.

Der bevorstehende Kampf um den Markt für Elektro-Nutzfahrzeuge sowohl im Privatkundengeschäft als auch im gewerblichen Segment wird brutal sein. GM plant, seinen neuen elektrischen Hummer bis zum Jahresende in begrenztem Umfang auszuliefern, ebenso wie Ford seinen elektrischen Transit-Van. Die Batterieversion des Bestellers F-150 von Ford wird im Frühjahr folgen. Das bedeutet, dass die größten Unternehmen in Detroit die Produktion von Fahrzeugen, die für ihre Zukunft von zentraler Bedeutung sind, zur gleichen Zeit wie Rivian hochfahren werden.

Dafür geben alle Unternehmen Milliarden von Dollar aus. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass Rivian das Geld von Investoren zugesteckt bekommt - einschließlich mindestens 7,7 Milliarden US-Dollar aus seinem Börsengang, während sich GM und Ford die notwendigen Mittel über den Verkauf ihrer traditionellen Pickups und SUVs beschaffen müssen.

Niemand kann wissen, wie das Ganze endet. Klar ist nur, dass die Wall Street bereits alle als Gewinner ansieht. Die Bewertung von Rivian in Höhe von über 50 Milliarden US-Dollar geht auch nicht auf Kosten von Ford oder GM. Wenn überhaupt, dann wird Detroit von der allgemeinen Begeisterung für Elektroautos mitgerissen: Die Ford-Aktien erreichten am Montag ein Jahrzehnthoch, während die GM-Aktien, gemessen an ihrer Historie nach dem Konkurs, zu einem ungewöhnlich hohen Vielfachen des Umsatzes gehandelt werden. Anleger könnten diesem Trend folgen und trotz aller Widersprüche nur das Beste erwarten. Je mehr elektrische Pickup-Trucks jedoch auf die Straße rollen, desto schwieriger wird es, diesen pauschalen Optimismus aufrechtzuerhalten.

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

DJG/DJN/rer/cbr

(END) Dow Jones Newswires

November 03, 2021 04:27 ET (08:27 GMT)