Endlich gibt es ein Ergebnis. Joe Biden wird der 46. Präsident der Vereinigten Staaten, Kamala Harris seine Vizepräsidentin. Natürlich wird es weiterhin rechtliche Auseinandersetzungen geben. Aber die Mehrheit der Wahlmänner und Wahlfrauen wird den Demokraten am 14. Dezember wählen, und er wird am 20. Januar sein Amt antreten. Allerdings verbirgt sich hinter dieser Allegorie des Machtwechsels eine ganz andere Geschichte.

Die Demokraten haben das Weiße Haus erobert, aber die prognostizierte 'blaue Welle' ist ausgeblieben. Biden hat zwar mehr Stimmen erhalten als alle Präsidentschaftskandidaten zuvor, doch auch Donald Trump erreichte zehn Millionen Stimmen mehr als noch im Jahr 2016. Die Demokraten haben sogar vielfach an Boden verloren - von den Kongresswahlen über die Gouverneurs- und Parlamentsposten in einzelnen Bundesstaaten bis hin zu regionalen Referenden. Trump wurde zwar abgewählt, der Popularität der Republikanischen Partei scheint er aber nicht geschadet zu haben - im Gegenteil.

Starke Republikaner

Traditionell legt diejenige Partei, die das Weiße Haus erobert, sowohl im Repräsentantenhaus als auch auf Bundesstaatenebene zu - nicht so jedoch dieses Mal. Die Republikaner dürften die Kontrolle über den Senat behalten, wenn es bei der ausstehenden Stichwahl in Georgia nicht noch zu einer großen Überraschung kommt. Gleichzeitig konnten sie die Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus verringern; nach den jüngsten Hochrechnungen nahmen sie ihnen neun Sitze ab. Auch in den Bundesstaaten konnten die Republikaner zulegen. Es gibt nun 23 Staaten, in denen die Republikaner sowohl den Gouverneur stellen als auch beide Kammern des Parlaments kontrollieren. Die Demokraten erreichen dies nur in 15 Staaten.

Damit nicht genug. Parallel zu den Wahlen auf den verschiedenen Ebenen wurde in diversen Bundesstaaten auch über konkrete Gesetzesentwürfe abgestimmt. Diese Referenden erlauben tiefe Einblicke in die politische Stimmung im Land. Und das Bild ist eindeutig: Die meisten eher linksliberalen Vorschläge fielen durch. In Kalifornien scheiterte zum Beispiel der Vorstoß, eine positive Diskriminierung zugunsten von Minderheiten zu erlauben - ein Herzensanliegen der sogenannten Identitätspolitik des linken Flügels der Demokraten.

Wer nur auf Bidens Sieg schaut, verkennt deshalb die wahre Botschaft dieser Wahl, die den Schlüssel zum Verständnis der weiteren Entwicklung in den USA darstellt. Eine Mehrheit der Wähler wollte zwar einen anderen Präsidenten - gleichzeitig erteilte sie aber der aktivistischen Wirtschafts- und Sozialagenda der Demokraten eine klare Absage. Dass der erwartete Erdrutsch ausgeblieben ist, hat gewaltige Auswirkungen für die amerikanische Politik. In der nun beginnenden Legislaturperiode - aber auch darüber hinaus.

Was können wir von einer Biden-Regierung erwarten - und was nicht?

Beginnen wir in der kurzen Frist. Wenn Joe Biden ins Weiße Haus einzieht, wird er dort keine großen Handlungsspielräume vorfinden. Im Senat stellen die Republikaner die Mehrheit, und zwar unter der Führung von Mitch McConnell, der schon in der Amtszeit von Barack Obama gezeigt hat, dass er willens und in der Lage ist, einen demokratischen Präsidenten, soweit es geht, zu blockieren. Auch der Besetzung des Kabinetts muss der Senat zustimmen, zu linke Kandidatinnen wie Elizabeth Warren, die ja selbst unter den Demokraten umstritten ist, hätten nicht den Hauch einer Chance. Und selbst der klassische Ausweg eines Präsidenten ohne Parlamentsmehrheit, per Verordnungen zu regieren, dürfte häufig vor dem Supreme Court enden, der nach Trumps Nominierungen durch eine 6:3-Mehrheit konservativer Richter dominiert wird.

Dadurch wird die Regierung Biden gezwungen sein, mehr zu verwalten, als zu gestalten. Eine radikal neue, linke Wirtschafts- und Sozialpolitik wird damit gar nicht erst abheben. Biden wird also weder die Medicare-Krankenversicherung nennenswert ausweiten noch Trumps Steuersenkungen zurückdrehen können. Dasselbe gilt für einen 'Green New Deal', einen Mindestlohn von 15 Dollar, die Aufspaltung von Technologiekonzernen oder ein Konjunkturprogramm über 2 Bill. bis 3 Bill. Dollar, wie es den Demokraten vorschwebte.

Ein wichtiges Feld für Biden wird die Außenpolitik sein. Denn hier kann der US-Präsident weitgehend ohne die Zustimmung des Kongresses handeln. Trumps größter Fehler war seine mangelnde Bereitschaft, Bündnisse zu pflegen und zu stärken. Im Gegensatz dazu wird Biden wahrscheinlich die wichtigsten Allianzen, die der Welt in den letzten 70 Jahren Stabilität verliehen haben, bewahren und restaurieren - von der Uno über die WTO und WHO bis zum IWF. Auch er wird jedoch Europa bei den Verteidigungsausgaben in die Pflicht nehmen, gleichzeitig aber auch die Nato wieder stärken. Bidens Politik gegenüber China wird weniger konfrontativ, aber nicht unbedingt weniger effektiv sein als Trumps sprunghaftere Herangehensweise. Eine Anti-China-Allianz mit Japan, Korea, Indien, Australien und vielleicht sogar Russland wäre für die Volksrepublik weitaus bedrohlicher als Zölle und Exportbeschränkungen. Biden könnte anders als Trump eine solche Allianz aufbauen.

Unter Biden werden die USA wahrscheinlich wieder dem Pariser Klimaabkommen beitreten. Allerdings wird der Senat kaum den Gesetzen zustimmen, die nötig wären, um die vereinbarten Emissionsziele zu erreichen. Biden wird deshalb auf Initiativen der Bundesstaaten wie Kalifornien hoffen müssen.

Wirtschaftlicher Ausblick gut

Eine gespaltene Regierung war in der Vergangenheit meist gut für die Wirtschaft, da allzu abenteuerliche oder extreme Vorschläge zurechtgestutzt wurden. So dürften der neue Präsident und der Kongress ziemlich schnell ein Konjunkturpaket in einer vernünftigen Höhe von 750 Mrd. bis 1 Bill. Dollar auf den Weg bringen, das Mittel für die Arbeitslosenunterstützung, eine weitere Runde des Gehaltsscheck-Programms, Finanzhilfen für Schulen und Mittel für Corona-Tests und Rückverfolgung umfasst.

Generell sind in den kommenden Jahren keine weiteren deutlichen Staatsausgabenerhöhungen zu erwarten - das werden die republikanischen Abgeordneten, die sich bereits Trumps Ausgabenwünschen in den Weg gestellt hatten, ebenso verhindern wie Biden selbst, der für umsichtiges Wirtschaften steht. Es wird daher nicht zuletzt an der Federal Reserve sein, den Aufschwung in Gang zu halten. Wir erwarten daher keine Änderung der expansiven Geldpolitik. Insgesamt könnte die US-Wirtschaft 2021 um 4 bis 5 % wachsen. Das wird dem Aktienmarkt ebenso helfen wie die Tatsache, dass die Technologie-Konzerne weiter von der Sonderkonjunktur durch die Pandemie profitieren - und erst einmal keine Zerschlagung fürchten müssen.

Die Demokraten, die sich immer stärker in eine Partei der Bildungseliten an Ost- und Westküste wandeln, werden nun eine schmerzliche Zeit der Richtungskämpfe durchmachen, in der die Mitte die wiedererstarkte Linke für ihre Verluste verantwortlich macht - und umgekehrt. Dabei könnte die Partei noch weiter nach links driften und versuchen, die Stimmen der Arbeiter von Trump zurückzuerobern. Aber viele der liberalen Visionen der demokratischen Linken werden bei dieser Zielgruppe nicht verfangen - für sie sind Trumps Republikaner näher an ihrer Lebenswelt. 'Wir sind jetzt eine Partei der Arbeiterklasse', twitterte der republikanische Senator von Missouri, Josh Hawley, in der Wahlnacht. 'Das ist die Zukunft.'

Trump und seine republikanischen Anhänger im Kongress dürften die Legende am Leben halten, dass ihnen die Wahl gestohlen wurde - mit dem Ziel, eine starke und engagierte Basis der Republikaner in die Kongresswahlen 2022 zu führen und im besten Fall auch die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu erreichen. Aber das ist nur ein Zwischenziel. Letztlich richten sich die Augen der Republikaner schon jetzt darauf, 2024 das Weiße Haus zurückzuerobern.

Damit bleibt die politische Auseinandersetzung in den USA in den kommenden Jahren ein Kampf mit bekannten Fronten: Hier die gebildeten Eliten in den Küstenregionen und Städten, die vom technologischen Fortschritt profitieren, die von zu Hause aus arbeiten können, von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie weitgehend unberührt bleiben und von steigenden Vermögenspreise profitieren. Und dort die weniger gebildete, vermögensschwache Arbeiterklasse, die die Hauptlast der Pandemie und der technologisch bedingten Veränderungen auf den Arbeitsmärkten trägt. Diese Gruppe derer, die sich abgehängt fühlen, verhalf Trump bereits 2016 ins Amt und wird weiter wachsen. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2024 könnte diese Gruppe einmal mehr entscheidend werden.

Deutsche Bank AG veröffentlichte diesen Inhalt am 20 November 2020 und ist allein verantwortlich für die darin enthaltenen Informationen.
Unverändert und nicht überarbeitet weiter verbreitet am 30 November 2020 08:28:07 UTC.

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