Von David Wainer

NEW YORK (Dow Jones)--Die Pharmaindustrie hat in rasantem Tempo Covid-19-Impfstoffe und -Behandlungen entwickelt und damit Millionen von Menschenleben gerettet. Doch Behandlungen für die postvirale Krankheit, die als "Long Covid" bekannt ist und von der Millionen Menschen betroffen sind, sind noch lange nicht entwickelt.

Der Mangel an Dringlichkeit bei der Entwicklung von Behandlungen ist sowohl eine verpasste Chance für die Gesundheitsbranche als auch eine Belastung für die Wirtschaft. Immerhin zwingen eine Reihe von Beschwerden wie Schwindel und Brustschmerzen viele US-Bürger dazu, zumindest vorübergehend nicht zu arbeiten. Es ist nicht so, dass die Gesundheitsbranche eine Multimilliarden-Dollar-Chance für Gerätehersteller und Arzneimittelentwickler ignorieren will. Die Entwicklung von Behandlungen für Langzeitpatienten ist viel komplizierter als die Behandlung der akuten Phase von Covid. Bei der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen zum Beispiel hatten Unternehmen wie Pfizer und Moderna klare Ziele für klinische Studien wie die Verhinderung von Infektionen, die sich leicht mit einem Test messen lassen.

Eine langwierige Covid-Erkrankung ist jedoch, wie andere postvirale Erkrankungen, durch eine Reihe von Symptomen gekennzeichnet. Bei einigen verursacht es neurologische Probleme wie Hirnnebel, bei anderen Verdauungsbeschwerden wie Durchfall. Studien zeigen auch, dass ein kleiner Prozentsatz der Infizierten später Blutgerinnsel, Schlaganfälle, Diabetes und Nierenschäden entwickelt. Das Spektrum der Symptome ist so breit gefächert, auch weil "Long Covid" ein Oberbegriff ist, der verschiedene Arten von Komplikationen umfasst, darunter ein Verbleiben des Virus im Körper oder eine anhaltende Entzündungsreaktion. Regierungen und Wissenschaftler sind noch dabei, Daten zu sammeln und die Krankheit in Labors zu untersuchen, um die genauen Mechanismen zu verstehen, während sie versuchen, die besten Ansätze zu finden. Jeremy Levin, ein ehemaliger leitender Angestellter bei Bristol-Myers Squibb und Teva, meint, dass die Pharmaunternehmen Zeit brauchten, um genau zu wissen, wie man diese Krankheit angehen kann.


Bei "Long Covid"-Patienten bleibt oft der Virus hartnäckig im Körper 

"Es ist nicht so, dass die Industrie nicht einsteigen will, es ist nur so, dass die Daten noch nicht ausgereift sind. Und solange man keine klareren Ziele hat, gibt es auch keine messbaren Ergebnisse", erklärt Levin, der jetzt das neurologische Biotech-Unternehmen Ovid Therapeutics anführt. Aber Pharmaunternehmen verfügen über viele Ressourcen, die es wert sind, getestet zu werden. Ein Beispiel ist die antivirale Pille Paxlovid von Pfizer. Immer mehr Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass das Virus bei einigen Menschen über die akute Phase hinaus im Körper verbleibt und möglicherweise zu einem "Long Covid" ausartet. Eine kürzlich vorgenommene Harvard-Studie zeigt, dass das Spike-Protein des Virus im Blut von 65 Prozent der getesteten Patienten mit "Long Covid" bis zu zwölf Monate nach der Erstdiagnose nachwirkte.

"Das ist ein echter Wendepunkt. Wenn wir dieses Zeug messen können, können wir antivirale Ansätze testen, um zu sehen, ob es hilft", zeigt sich HIV-Experte Steven Deeks optimistisch. Er untersucht "Long Covid" an der Universität von Kalifornien in San Francisco. Deeks hat, wie auch andere Forscher, Pfizer aufgefordert, eine klinische Paxlovid-Studie für Patienten mit "Long Covid" vorzunehmen. Eine Sprecherin sagt jedoch, dass das Unternehmen noch "überlegt, was eine Studie beinhalten könnte". Deeks betont, er habe mit mehreren Unternehmen über die Erprobung von Behandlungen gesprochen. Aber die Vertreter dieser Unternehmen hätten ihm in der Regel gesagt, dass "niemand weiß, wie man es definiert, also will niemand 1 Milliarde Dollar in ein Phase-III-Programm investieren".


"Long Covid" könnte Wirtschaft spürbar beeinträchtigen 

Postvirale Erkrankungen haben die Forscher lange Zeit vor ein Rätsel gestellt. Sie haben sich schwergetan, Behandlungen für Krankheiten wie das chronische Müdigkeitssyndrom zu entwickeln, von dem man annimmt, dass es durch das Epstein-Barr-Virus verursacht wird. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDCP) schätzen, dass 7,5 Prozent der Erwachsenen in den USA "Long Covid"-Symptome haben, die drei oder mehr Monate nach der Infektion anhalten. Dies könnte eine erhebliche Belastung für das Gesundheitssystem und - sofern die Betroffenen nicht in der Lage sind, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren - auch für die Wirtschaft bedeuten. Um die Versorgung zu verbessern, wird der anhaltende öffentliche Druck entscheidend sein. Der Kongress hat den National Institutes of Health (NIH) im Jahr 2020 rund 1,2 Milliarden US-Dollar für die Erforschung von "Long Covid" zur Verfügung gestellt, aber die Behörde hat sich zu langsam bewegt. Ein Teil des Problems besteht darin, dass sich die Forschungseinrichtungen, die Regierung und das Gesundheitssystem im Allgemeinen noch immer auf die akute Phase der Pandemie konzentrieren.

Ted Ross von der Cleveland Clinic vertritt die Ansicht, dass ähnlich wie öffentlicher Druck in den 1980er Jahren zur Entwicklung von HIV-Therapien beigetragen hat, Patientengruppen weiter auf staatliche Mittel für die Behandlung von "Long Covid" drängen müssen. Eine stärkere Partnerschaft zwischen Regierung, Industrie und Wissenschaft wird entscheidend sein, fügt er hinzu. Letztendlich könnte es noch Jahre dauern, bis Behandlungen verfügbar sind. Solange Covid-19 in unserer Mitte ist, wird auch die Bedrohung durch "Long Covid" fortbestehen.

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July 11, 2022 04:11 ET (08:11 GMT)