Von Stephen Wilmot

FRANKFURT (Dow Jones)--Der langsame Niedergang der Industriekonglomerate könnte im deutschen Arzneimittel- und Agrarriesen Bayer sein nächstes Opfer finden. Der Erfinder des Aspirins hat in jüngster Zeit viel Aufmerksamkeit von aktivistischen Investoren bekommen. So verkündete Jeff Ubbens Inclusive Capital Partners vergangene Woche eine Beteiligung. Ein größeres Aktienpaket hat auch Bluebell Capital Partners zusammengekauft. Der kleine europäische Fonds war daran beteiligt, den vormaligen Vorstandschef des französischen Joghurt-Herstellers Danone abzusetzen.

Zwar hat sich der Kurs der Bayer-Aktie seit Jahresbeginn um 17 Prozent erholt, gleichwohl ist kaum von der Hand zu weisen, dass das Papier noch immer viel zu billig ist. Aktuell wird es zum siebenfachen des erwarteten Gewinns gehandelt, verglichen mit dem 15-fachen des europäischen Pharmasektors insgesamt und dem 20-fachen von Corteva, dem von DowDuPont im Jahr 2019 ausgegliederten Pflanzenschutz-Anbieter. Auf den Gesundheitsbereich von Bayer entfallen rund 55 Prozent des für 2023 erwarteten Gewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, der Rest auf Pflanzenschutz und Saatgut.

Zugegeben, die hohe Verschuldung von Bayer bläht den Gewinn auf, den das Unternehmen in Relation zum Eigenkapital erzielen kann, schon deshalb müssen seine Gewinnmultiplikatoren niedriger ausfallen, als die der Konkurrenz. Das Unternehmen steht mit rund 43 Milliarden Dollar in der Kreide, ein Großteil davon ist das Erbe der desaströsen Übernahme von Monsanto im Jahr 2018: 63 Milliarden wurden seinerzeit auf den Tisch geblättert - eine Summe, die lange schon den Marktwert von Bayer insgesamt in den Schatten stellt. Dennoch zeigen Bewertungen der Einzelteile von Bayer dasselbe: Würden sie so wie vergleichbare Firmen bewertet, könnte die Bayer-Aktie 85 Prozent mehr auf die Waage bringen, rechnen etwa die Analysten von Citi vor.


   Bayers Risiko ist für Investoren noch immer Glyphosat 

Doch warum tun sie das nicht? Der Hauptgrund ist das Glyphosat-Risiko, die anhaltende Sorge, Bayer könnte in den USA wegen des Wirkstoffs in Monsantos Unkrautvernichter Roundup weiter in Schadensersatzprozesse verwickelt werden. Schon kurz nach Abschluss der Übernahme verlor Bayer einen ersten Rechtsstreit, in dem behauptet wurde, Glyphosat verursache Krebs. Angesichts zigtausender weiterer Verfahren sah es plötzlich danach aus, als würde Bayer Schadensersatzzahlungen in Milliardenhöhe leisten müssen. Zwar wurden die bisher letzten sechs Glyphosat-Prozesse gewonnen und für die Restrisiken wahrscheinlich auch ausreichend Rückstellungen gebildet, aber viele Investoren halten sich dennoch lieber zurück.

Frühere Hoffnungen von Anlegern wurden bislang immer enttäuscht. So versuchte 2019 der aktivistische Hedgefonds Elliott Management, Bayer zu einem Glyphosat-Vergleich zu bewegen, statt juristisch gegen die Forderungen anzukämpfen. Und 2022 forderte der Staatsfonds Temasek aus Singapur mit seinem Bayer-Anteil von 3,5 Prozent laut Bloomberg die Absetzung von Vorstandschef Werner Baumann, dem Architekten des Monsanto-Deals. Beide Male schoss die Aktie in die Höhe, nur um dann wieder abzurutschen, als der Fortschritt zu gering erschien.

Dafür, dass es dieses Mal anders laufen könnte, spricht ein anstehender Umbau der Konzernführung. Baumanns Amtszeit läuft im April 2024 aus, aber ein Nachfolger könnte schon früher angekündigt werden. Damit wäre der Weg für einen strategischen Wechsel geebnet. Ein neuer CEO könnte einige Erfolge recht einfach erzielen, allem voran ein Verkauf von Bayers Consumer-Health-Sparte, um Schulden abzubauen. Die Trennung der verschreibungsfreien Arzneien und Drogeriemarken vom Hightech-Pharmageschäft wäre ein Weg, der von Wettbewerbern wie Merck, GSK und Johnson & Johnson bereits beschritten wurde. "Es ist erstaunlich, dass sie nichts unternommen haben", sagt Markus Manns, Fondsmanager bei Union Investment in Frankfurt. "Es ist ein so offensichtlicher Weg, Shareholder Value zu schaffen."


   Die Option Aufspaltung hat verschiedene Varianten 

Eine umfassende Aufspaltung von Bayer, bei der das Gesundheits-Geschäft und die Crop-Science-Sparte getrennte Wege gehen, wäre zwar umstrittener, für einen neuen Chef aber eine klare Option. Niemand glaubt, dass die zwei Geschäfte naturgegeben zusammengehören. Eine Rückabwicklung des Monsanto-Deals ist angesichts der Synergien wohl vom Tisch. Dennoch ist es bemerkenswert, dass der schweizerisch-chinesische Bayer-Konkurrent Syngenta strategisch den entgegengesetzten Weg eingeschlagen hat und Pflanzenschutz und Saatgut nun getrennt führt.

Deutsche Aufsichtsräte, in denen auch Arbeitnehmervertreter sitzen, fürchten häufig, ihr Unternehmen könnte ein Übernahmeziel werden, wenn es schrumpft, so dass am Ende Arbeitsplätze gefährdet sind. Es gibt jedoch ein paar prominente Ausnahmen, die womöglich einen kulturellen Wandel signalisieren. Siemens etwa hat mehrere Geschäftsbereiche ausgegliedert, und Daimler hat sich 2022 gar in zwei getrennt notierte Sparten aufgeteilt: Pkw und Lkw.

Ein gesünderer Schutz gegen eine Übernahme von Bayer durch Konkurrenten wäre ein höherer Aktienkurs. Das dürfte zwar dauern, aber das Unternehmen könnte dafür viel tun.

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

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January 18, 2023 07:10 ET (12:10 GMT)