Genf/Berlin (Reuters) - Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt davor, dass sich in den nächsten sechs bis acht Wochen mehr als 50 Prozent der Bevölkerung in Europa mit der Omikron-Virus-Variante anstecken könnten.

Bereits in der ersten Woche des neuen Jahres habe es in Europa mehr als sieben Millionen neu gemeldete Covid-19-Fälle gegeben, die sich innerhalb von zwei Wochen mehr als verdoppelt hätten, sagte Europadirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Hans Kluge. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Dienstag 45.690 Corona-Neuinfektionen in Deutschland. Das sind 15.129 Fälle oder rund 50 Prozent mehr als vor einer Woche, als 30.561 Positiv-Tests gemeldet wurden. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 387,9 von 375,7 am Vortag. Der Wert gibt an, wie viele Menschen je 100.000 Einwohner sich in den vergangenen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt haben.

Die WHO warnte angesichts von Lockerungsdebatten in vielen Ländern davor, dass die Omikron-Variante zwar im Schnitt zu leichteren Krankheitsverläufen führe, aber nicht mit der Grippe vergleichbar sei. Am Montag hatten etliche Länder Personalnotstand in Klinken gemeldet, weil die Corona-Virus-Variante Omikron zu einem steilen Anstieg der Neuinfektionen geführt hatte. Davon ist auch medizinisches Personal betroffen. Zudem sorgen die hohen Infektionszahlen dafür, dass mehr Patienten ins Krankenhaus kommen. In Deutschland sank allerdings die Zahl der dann schwer erkrankten Corona-Intensivpatienten am Dienstag weiter auf 3123.

Zugleich nahm die Debatte über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht Fahrt auf. SPD- und Unions- Bundestagsfraktionen beraten noch am Dienstag über die Impfpflicht. Der parlamentarische Geschäftsführer von CDU/CSU, Thorsten Frei, kündigte an, dass seine Fraktion derzeit keinen eigenen Gesetzentwurf vorlegen wolle. "Wir erwarten einen Vorschlag der Bundesregierung", sagte der CDU-Politiker. Die Ampel-Koalition habe im Bundestag keine eigene Mehrheit in der Frage und gehe deshalb den Weg von Gruppenanträgen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) habe sich aber selbst für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen und müsse deshalb in dieser Frage nun Führung zeigen, forderte Frei.

Koalitionspolitiker der Ampel-Regierung wiesen das zurück und verwiesen darauf, dass der Bundestag die Federführung habe. "Der Bundestag ist jederzeit kurzfristig handlungsfähig und in der Lage, entscheidungsreife Vorlagen zu verabschieden", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Voegl, zu Reuters. "Die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht jetzt mit dem Kampf gegen die Omikron-Welle zu verknüpfen, ist unsachlich und unangemessen." Denn eine potenzielle allgemeine Impfpflicht wäre für den nächsten Herbst wirksam. FDP-Vize-Chef Wolfgang Kubicki, ein Kritiker der allgemeinen Impfpflicht, sagte: "Wenn man sich überhaupt einer Impfpflicht nähern will, dann macht es allenfalls Sinn für die über 50-Jährigen."