BERLIN (Dow Jones)--In der deutschen Wirtschaft nehmen die Personalengpässe weiter zu - dennoch werben nur wenige Unternehmen Personal im Ausland an. Das ist das Ergebnis einer neuen Umfrage für den neuen Fachkräftemigrationsmonitor der Bertelsmann Stiftung. Ohne Zuwanderung werde Deutschland seinen Wohlstand aber nicht sicher können, so das Fazit der Studie.

Der Bedarf an Fachkräften sei trotz der Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und der hohen Inflation hoch. Dies liege hauptsächlich am demografischen Wandel Deutschlands. In der Umfrage für den neuen Fachkräftemigrationsmonitor der Stiftung berichteten 73 Prozent und damit fast drei Viertel der Entscheider in Unternehmen von Fachkräfteengpässen in ihrem Betrieb, nach 66 Prozent im Vorjahr. Mit 17 Prozent sucht aber noch nicht einmal jedes fünfte Unternehmen im Ausland nach neuen Mitarbeitern.

Stattdessen setzen sie zurzeit in erster Linie auf Aus- und Weiterbildung im eigenen Betrieb sowie auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um mehr Fachkräfte zu gewinnen.

"Der Personalmangel tritt mittlerweile in fast allen Berufen, Branchen und Regionen auf. Unsere Wirtschaft verliert dadurch zunehmend an Dynamik. Angesichts dieser kritischen Situation ist es umso überraschender, dass die Rekrutierung von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern für die meisten Unternehmen noch immer kein Thema ist", sagte Susanne Schultz, Expertin für Migrationspolitik der Bertelsmann Stiftung.


   Personal mit Berufsausbildung gesucht 

Die Umfrage zeigt nach Angaben der Bertelsmann Stiftung, dass insbesondere die Nachfrage nach Personen mit Berufsausbildung weiter angestiegen ist. Demnach meldeten hier 58 Prozent der befragten Betriebe Bedarf an, während nur 30 Prozent von ihnen Akademiker fehlten.

Besonders vom Fachkräftemangel betroffen ist demnach die Kranken- und Altenpflege, der Bau und das Handwerk, die Industrie und Logistik sowie der Tourismus. Zudem zeige sich, dass die Engpässe häufiger in größeren Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten vorkommen als in kleineren Betrieben. Regional betrachtet zeige sich der Mangel an Personen mit Berufsausbildung am deutlichsten in Sachsen, Bayern und Rheinland-Pfalz und ländlichen Regionen. Der Bedarf an Akademikern sei in städtischen Ballungsräumen am höchsten.

Insgesamt liege die Fachkräftezuwanderung deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau. Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen gab in der Umfrage an, im Ausland nach neuem Personal zu suchen. Trotz des Fokus auf Aus- und Weiterbildung im eigenen Betrieb geht in der Befragung nur weniger als ein Fünftel der Unternehmen davon aus, dass in Deutschland ausreichend Personal zur Verfügung steht.

"Offenbar sind die Hindernisse für die Rekrutierung von Fachkräften im Ausland nach wie vor zu hoch. Noch mehr Unternehmen als in den Vorjahren nennen Sprachbarrieren, rechtliche und bürokratische Hürden sowie die schwierige Einschätzung ausländischer Qualifikationen als Hauptprobleme", erklärte die Bertelsmann Stiftung.


   Weniger Zuwanderer aus Nicht EU-Länder als vor der Covid-Pandemie 

Im vergangenen Jahr seien zwar wieder etwas mehr Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland gekommen als unmittelbar nach Beginn der Pandemie. Allerdings lag deren Anzahl mit knapp 25.000 Personen deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau von fast 40.000 Menschen. Während rund die Hälfte der eingewanderten Fachkräfte aus Asien stamme, habe gleichzeitig die Zuwanderung aus anderen EU-Staaten in die Bundesrepublik 2021 abgenommen. "Den Ländern außerhalb Europas kommt dadurch eine noch größere Bedeutung für den deutschen Arbeitsmarkt zu", so die Bertelsmann Stiftung.

Grundsätzlich bleibe für Deutschland der demografische Wandel die zentrale Herausforderung. Denn die niedrigen Geburtenraten der Vergangenheit holten Deutschland nun ein. "Mit dem Renteneintritt der Generation der 'Babyboomer' wird das Problem nun noch größer", sagte Schultz. "Ohne Zuwanderung kann Deutschland den Wohlstand nicht sichern."

Als Konsequenz forderte die Stiftung, dass die rechtlichen Möglichkeiten für Zuwanderung weiterentwickelt werden müssten. Die aktuellen Vorschläge der Bundesregierung, die Berufserfahrung als Kriterium zu berücksichtigen, eine Chancenkarte einzuführen und Visumsverfahren zu digitalisieren, gehen nach Einschätzung der Bertelsmann Stiftung in die richtige Richtung und könnten Hürden für den Zuzug ausländischer Fachkräfte abbauen.

Genauso wichtig sei es aber, das neue Einwanderungsrecht auch konsequent umzusetzen. Dazu zählten Angebote zur Sprachförderung, Integrationshilfe vor Ort sowie eine engere Vernetzung von Unternehmen, Behörden und Zivilgesellschaft, um Migranten gezielter zu unterstützen. Gleichzeitig gelte es, die Bundesrepublik als Einwanderungsland attraktiver zu machen und die ausländischen Fachkräfte im Land zu halten. Außerdem sollte für eine gezielte Gewinnung ausländischer Fachkräfte das Modell der transnationalen Ausbildungspartnerschaften mit Ländern des globalen Südens erweitert werden, so die Empfehlung der Stiftung.

Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com

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December 07, 2022 23:00 ET (04:00 GMT)