-- Lindner: Dieses Jahr insgesamt 13,8 Milliarden Euro weniger als erwartet

-- Schätzer sehen 21,9 Milliarden Euro Mindereinnahmen 2025

-- Finanzminister: Neue finanzielle Spielräume gibt es absehbar nicht

(NEU: weitere Details und Aussagen von Pressekonferenz)

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Der deutsche Fiskus muss in den nächsten Jahren mit deutlich weniger Steuereinnahmen auskommen als bisher angenommen. Insgesamt dürften bis einschließlich 2028 rund 80,7 Milliarden Euro weniger in der Staatskasse landen als noch im Oktober 2023 erwartet. "Neue finanzielle Spielräume gibt es absehbar nicht", erklärte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). "Die aktuelle Steuerschätzung ist ein Realitätscheck für den Bundeshaushalt 2025. Wir müssen uns von unrealistischen Wünschen verabschieden und die Konsolidierung des Haushalts vorantreiben."

Dies erfordere "Disziplin und Willenskraft". Das Schätzergebnis belege auch, dass die finanziellen Herausforderungen in den kommenden Jahren größer würden. "Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, verschärft sich die Entwicklung insbesondere für den Bund", warnte der Finanzminister. "Die strukturellen Herausforderungen können wir nicht mit immer mehr Schulden zuschütten." Nötig sei mehr Wachstum und damit eine von ihm geforderte Wirtschaftswende. "Nur mit einer starken wirtschaftlichen Entwicklung schaffen wir Wohlstand und stabile Staatsfinanzen", sagte er.

Dieses Jahr müssen Bund, Länder und Gemeinden nach der Kalkulation mit 13,8 Milliarden Euro weniger rechnen als im Oktober angenommen. Kommendes Jahr können sie dann 21,9 Milliarden Euro weniger einrechnen und 2026 rund 18,0 Milliarden Euro weniger. Für die beiden Folgejahre soll es dann Mindereinnahmen von je 13,5 Milliarden Euro gegenüber der bisherigen Prognose geben. Dem Bund allein drohen dieses Jahr um 5,6 Milliarden Euro geringere Steuereinnahmen als erwartet, im nächsten Jahr sollen es dann 11,0 Milliarden weniger sein.


   Bund trägt die Hauptlast 

Den größten Teil der Mindereinnahmen habe der Bund zu tragen, betonte Lindners Ministerium. Mindereinnahmen gegenüber der Oktober-Schätzung seien dabei bei fast allen aufkommensstarken Gemeinschaftssteuern zu verzeichnen. Lediglich das erwartete Aufkommen aus der Abgeltungssteuer sei nach oben revidiert worden. Darin spiegelten sich die Zinserträge in Deutschland wider, die deutlich stärker gestiegen seien als angenommen.

Die Differenz zum Ergebnis der Oktober-Steuerschätzung resultiere überwiegend aus Schätzabweichungen, die sich aus einer verschlechterten Einschätzung zur Konjunktur ergäben. "Die wirtschaftliche Erholung hat sich gegenüber den damaligen Erwartungen verzögert", konstatierte Lindners Ministerium. Die finanziellen Auswirkungen der gegenüber der Schätzung vom Oktober 2023 neu einbezogenen Steuerrechtsänderungen wirkten sich ebenfalls einnahmenmindernd aus.

Insgesamt sollen die Steuereinnahmen 2024 gegenüber dem Vorjahr um 3,8 Prozent auf 950,3 Milliarden Euro steigen und 2025 um 4,7 Prozent auf dann 995,2 Milliarden Euro. Im Oktober hatten die Schätzer mit Einnahmen von 964,1 Milliarden Euro im Jahr 2024 gerechnet. Für die nachfolgenden Jahre veranschlagen die Experten jährliche Steigerungsraten zwischen 3,3 und 4,2 Prozent. Im Jahr 2028 sollen die Einnahmen nach ihren Berechnungen bei 1,1 Billionen Euro liegen.


   Bescheidene Wachstumsaussichten 

"Das Ergebnis der Steuerschätzung kann eigentlich niemanden überraschen", betonte Lindner bei einer Pressekonferenz. "Unsere Wirtschaft entwickelt sich nur schwach." Auch mittelfristig seien die Wachstumsaussichten "allenfalls bescheiden". Die Regierung habe zwar bereits Bausteine einer Wirtschaftswende beschlossen. "Aber nun werden wir darüber hinausgehen müssen, Arbeitsanreize stärken, Fachkräfteangebot ausweiten, Bürokratie abbauen und auch im Übrigen die steuerlichen Wettbewerbsbedingungen für unsere Wirtschaft verbessern müssen."

Das Ergebnis der Steuerschätzung zerstöre "die Illusion all derjenigen, die vielleicht vermutet haben, dass das Geld einfach so vom Himmel fällt und uns davon befreit, fiskalische Notwendigkeiten zu erkennen", meinte der FDP-Vorsitzende. Konkret heiße das für die aktuellen Haushaltsberatungen für das Jahr 2025 "erstens, die Steuerzahler nehmen uns in die Pflicht, klare Prioritäten zu setzen". Man könne nicht fortwährend beispielsweise soziale Ausgaben ausdehnen und müsse vor der Einführung neuer gesetzlicher Leistungen sicherstellen, dass die bisherigen auch nachhaltig finanziert seien. Zum anderen müsse man sich auf das Wesentliche konzentrieren.

Man habe es für die Haushaltsverhandlungen 2025 "mit einer zu schließenden Lücke in einem niedrigeren zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag zu tun", sagte der Finanzminister. Eine exakte Zahl könne er nicht nennen, "weil ich die Anmeldungen einer Reihe von Ministerien gar nicht akzeptiere". Er bekräftigte, trotz der schwierigen Beratungen solle der Budgetentwurf für kommendes Jahr am 3. Juli vom Kabinett verabschiedet werden. Lindner betonte zudem, im Haushalt 2024 sei für über 2 Milliarden Euro an Mindereinnahmen noch keine Vorsorge getroffen. "Wir werden deshalb den Ablauf des Bundeshaushaltes 2024 im Blick behalten müssen", kündigte er an. Hinsichtlich der Ausgabenentwicklung gebe es Risiken, auf die er momentan schaue, beispielsweise das Konto für das Erneuerbare-Energien-Gesetz.


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May 16, 2024 10:24 ET (14:24 GMT)