Börsen-Zeitung: Schwäne und Nashörner, Marktkommentar von Dietegen
Müller
Frankfurt (ots) - Er hat das C-Wort gesagt: Der Chef der
Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat auf der
Pressekonferenz nach der Zinsentscheidung am Donnerstag auch von der
sich abschwächenden Konjunktur in China als Risiko für Europas
Wirtschaftsentwicklung gesprochen. China gilt als eines der größten
Risiken für das Anlagejahr 2019. Die Bank of America Merrill Lynch
(BofAML) meint in einer aktuellen Einschätzung, die jüngsten
Exportzahlen aus dem Reich der Mitte und aus Asien zeigten eine
globale Gewinnrezession an - bezogen auf den Gewinn je Aktie. Während
BofAML für die nächsten zwölf Monate von stagnierenden Gewinnen
ausgehe, nehme der Marktkonsens noch ein Gewinnwachstum von 6 Prozent
an. Hier lauert also Korrekturgefahr.
China könne so etwas wie ein "Elefant im Porzellanladen" sein,
sagt Tillmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset
Management, und werde ein wesentlicher konjunktureller Brennpunkt im
Jahr 2019 sein. Auf Jahressicht hochgerechnet ist die chinesische
Wirtschaft im vierten Quartal 2018 nur noch mit 6,4 Prozent
gewachsen, dem niedrigsten Wert seit 1990.
Allerdings erwartet die Großbank keine harte Landung in dem
autoritären Staat. Galler begründet dies mit einer veränderten
Haltung der chinesischen Regierung. Nachdem sie eine Zeit lang das
Augenmerk darauf gerichtet habe, das Kreditwachstum zu begrenzen und
den Schuldenabbau anzugehen, habe sie ihren Kurs um 180 Grad gedreht.
Es werde mit zahlreichen Maßnahmen gegengesteuert. Dies dürfte sich
stimulierend auf Investitionstätigkeit und Infrastrukturausgaben
auswirken. Dagegen würden die Kurse am chinesischen Aktienmarkt eine
harte Landung vorwegnehmen. Gemessen am CSI 300 Index hat der
Aktienmarkt in Schanghai ausgehend von seinem Hoch im Januar 2018
fast ein Drittel eingebüßt. Galler hält dies für übertrieben.
Doch es bleiben Zweifel. China baut seine Wirtschaft hin zu mehr
Konsum um, und das birgt in den Augen von einigen Beobachtern
Risiken. Wie stark der Abschwung ausfallen werde, sei "eine offene
Frage", sagt der ehemalige IWF-Chefökonom Kenneth Rogoff. Er meint,
angesichts des "inhärenten Widerspruchs zwischen einem immer stärker
zentralisierten, von der Kommunistischen Partei geführten politischen
System und der Notwendigkeit eines stärker dezentralisierten
konsumgeleiteten Wirtschaftssystems" könne das langfristige Wachstum
"relativ drastisch sinken".
Aus chinesischen Regierungskreisen sind zudem irritierende Signale
zu verzeichnen. So hat der chinesische Präsident Xi Jinping am
vergangenen Monat erklärt, sein Land müsse nicht nur wachsam sein,
was mögliche "Schwarze Schwäne" anbelangt - also Risiken, die nicht
vorhergesehen werden. Genauso gelte es, "Graue Nashörner" abzuwehren.
Damit dürften bekannte Gefahren gemeint sein - der Begriff bezieht
sich wohl auf ein Buch der amerikanischen Autorin Michele Wucker
("The Gray Rhino: How to Recognize and Act on the Obvious Dangers we
Ignore"). Xi sagte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua,
die chinesische Wirtschaft stehe vor tiefen und komplizierten
Veränderungen. Hochverschuldete Firmen ohne erkennbare Perspektiven -
so genannte Zombie-Firmen - sollten richtig aufgelöst werden, während
zugleich Schwierigkeiten von kleineren Unternehmen pragmatisch
angegangen würden.
Auch der China-Kenner Michael Pettis, Fellow des Canegie Endowment
for International Peace, sieht beunruhigende Zeichen. Es gebe einen
fehlenden Zusammenhang zwischen den offiziellen Wachstumsdaten und
der Wahrnehmung in der breiten Bevölkerung. "Fast jeder beklagt sich
bitterlich über entsetzlich schwierige Konditionen, steigende
Insolvenzen, einen kollabierenden Aktienmarkt und zerschlagene
Hoffnungen. In meinen 18 Jahren in China habe ich nie dieses Niveau
an finanziellen Sorgen und Elend gesehen", schreibt Pettis. Für ihn
ist schon längst klar, dass die ausgewiesenen Zahlen für das
Bruttoinlandprodukt das Wachstum deutlich überzeichnen.
Die Frage ist nur, was einen angemessenen Hinweis auf den Zustand
der chinesischen Wirtschaft gibt? Auch die weitere Entwicklung im
Handelsstreit zwischen den USA und China wird die Märkte bewegen.
Derzeit wird auf eine Besserung der Lage gesetzt. Auch Kenneth Rogoff
meint, Chinas Volkswirtschaft habe die Zweifler seit vielen Jahren
immer wieder eines Besseren belehrt. Anzufügen wäre
wohl: Vorausgesetzt, es geraten keine grauen Nashörner oder schwarze
Schwäne in den Weg.
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