Börsen-Zeitung: Revival der Industriepolitik, Kommentar zu Siemens von
Michael Flämig
   Frankfurt (ots) - Siemens befindet sich mit Alstom auf 
Konfrontationskurs zu den europäischen Wettbewerbshütern. Denn die 
Kartellbehörden signalisieren auf allen Kanälen, dass die 
Zugeständnisse der Bahntechnikhersteller nicht ausreichen für die 
Genehmigung eines Zusammenschlusses. Das Zug-Duo verweigert aber die 
Abgabe weiterer Konzernteile. Wenn keiner der Kontrahenten eine 
Kehrtwende hinlegt, erleidet das Fusionsprojekt einen Totalschaden.

   Ob Siemens und Alstom nun gemeinsam Hochgeschwindigkeitszüge bauen
oder eben nicht, wird den Lauf der Welt nicht verändern. Die 
Diskussion über das Projekt aber sehr wohl. Denn der Fall weist über 
die ökonomische Sphäre hinaus in den gesellschaftlichen  Raum. Dort 
zeigen die Stellungnahmen der Politiker, dass ein Paradigmenwechsel 
bevorsteht. Künftige Ökonomie-Lehrbücher werden das Fusionsprojekt 
daher als  Wendepunkt in der europäischen Industriepolitik 
kennzeichnen.

   Die Ausgangslage ist klar: Das Kartellrecht verbietet eine 
Genehmigung, weil das Duo auf einzelnen Märkten eine beherrschende 
Position erobert. Die Forderung der Wettbewerbshüter, große 
Unternehmensteile zu verkaufen, ist eine logische Folge. In den 
vergangenen Jahrzehnten deckten die Regierungen in der Regel implizit
derartige Positionen, indem sie sich heraushielten. Nun aber zieht 
die Politik in Berlin und Paris nicht mehr mit, der Protest gegen 
eine Ablehnung der Fusion ist überall zu vernehmen.

   Was hat sich geändert?

   Erstens: die Lage in der Welt. In China ist eine Konkurrenz 
erwachsen, die planmäßig die globalen Märkte aufrollt - und zwar mit 
strategischer Unterstützung der Regierung und zur Not sogar mit ihrem
Kapital. Auch in der Bahntechnik kommt der weltweit größte Hersteller
der Welt aus China. Wer glaubt, er werde sich nicht mit 
Dumpingpreisen in die Weltmärkte hineinkämpfen, ist blauäugig. Denn 
er ignoriert die Vorgaben der Kommunistischen Partei.

   Zweitens: die Lage an den Wahlurnen. Die Ängste in Europa wachsen,
daher wählen die Menschen populistische Parteien. Eine Quelle der 
Unsicherheit ist die Globalisierung. Regierungen, die sich an der 
Macht behaupten wollen, müssen ihre Bürger schützen - vor 
US-Datenkraken, dem Ausverkauf der Technologie oder eben vor dem 
Bedeutungsverlust der Industrie wie im Fall der  Bahntechnik.

   Dies bedeutet: Die Industriepolitik steht vor einem Revival. Sie 
wird auch das Kartellrecht neu fassen. Doch dies alles wirkt erst in 
der Zukunft. Der Fehler von Siemens und Alstom war, schon heute auf 
die Karte Industriepolitik zu setzen.

OTS:              Börsen-Zeitung
newsroom:         http://www.presseportal.de/nr/30377
newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_30377.rss2

Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de