Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Der Ukraine-Konflikt ist nach Aussage von Philip Lane, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), auch aus geldpolitischer Sicht relevant. "Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen höheren Energiepreisen und diesen Spannungen", sagte Lane in einem Interview mit der litauischen Zeitung Verslo zinios. Das sei für die EZB "natürlich sehr direkt relevant". Lane äußerte sich tendenziell zufrieden mit dem Wachstumsausblick und versuchte die anhaltend hohe Inflation herunterzuspielen. Lohnanstiege von 3 Prozent, die für 2 Prozent Inflation nötig seien, seien derzeit nicht zu beobachten.

"Auf kurze Sicht birgt die Omikron-Variante einige Risiken - aber ich denke, es wird immer deutlicher, dass die Auswirkungen nur einige Wochen andauern werden", sagte Lane. Die EZB müsse sich weniger Sorgen um Omikron machen, als sie das im Dezember getan habe.

Zur Inflation sagte der EZB-Chefvolkswirt: "Wir werden sehen, wann die Inflation zurückgeht. Anstatt uns auf einzelne Monate zu konzentrieren, haben wir eine klare Vorstellung von der Gesamtrichtung: dass die Inflationsrate im Laufe dieses Jahres sinken wird." Seit Dezember gehe die EZB davon aus, dass die Inflation in den nächsten Jahren unter die Zielmarke von 2 Prozent fallen werde.

Die Gefahr von Zweitrundeneffekten der aktuell hohen Inflation über den Arbeitsmarkt sieht Lane nach eigenen Worten nicht. "Wenn die Inflation im Euroraum bei etwa 2 Prozent liegen soll und ein Anstieg der Arbeitsproduktivität von etwa 1 Prozent berücksichtigt wird, dann sollten die Löhne im Euroraum im Durchschnitt um 3 Prozent pro Jahr steigen", sagte er. Derzeit seien solche Lohnanstiege nicht zu sehen, aber natürlich werde die EZB dies im Laufe des Jahres weiter beobachten.

Lane skizzierte drei mögliche Inflationsszenarien, auf die die EZB unterschiedlich reagieren würde:

1. Die Kräfte, die vor der Pandemie für eine niedrige Inflation gesorgt haben, treten nach der Pandemie wieder hervor. Die Inflation bleibt deutlich unter 2 Prozent, die EZB setzt ihr bekanntes Instrumentarium ein.

2. Einige dieser Kräfte zeigen sich nicht wieder, und es wird für die EZB leichter, ihr Inflationsziel von 2 Prozent zu erreichen. Die EZB "normalisiert ihre Politik mit der Zeit".

3. Die Inflation zieht an und es besteht das Risiko, dass sie dauerhaft deutlich über 2 Prozent liegt. Die EZB strafft ihre Politik.

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January 25, 2022 09:03 ET (14:03 GMT)