Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Die Bundesregierung sollte die Transformation hin zur klimaneutralen Industrie nach Ansicht von Experten mit der Schaffung von grünen Leitmärkten statt mit dem Einsatz von Klimaschutzverträgen fördern. Im unabhängigen Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium heißt es, dass solch ein "grüner Leitmarkt", der ein staatlich geschaffener oder geförderter Markt für klimaneutral produzierte Produkte ist und durch die Schaffung einer künstlichen Nachfrage klimaneutrale Produkte in den Markt zieht, deutliche Vorteile aufweist. Er sei das marktwirtschaftlichere Vorgehen, so die Experten.

"Grüne Leitmärkte sind das bessere Instrument, um die Produktion klimaneutral produzierter Grundstoffe auszudehnen. Sie sind mit weit geringeren Informationsanforderungen an den Staat verbunden und greifen nicht in die Produktionsprozesse der Unternehmen ein", heißt es in dem 49-seitigen Gutachten.

Klimaschutzverträge - auch als "Carbon Contract for Difference" bekannt, die über Subventionen ein Angebot an klimafreundliche produzierten Gütern schaffen - könnten zwar beim Einstieg in eine neue Technologie hilfreich sein, um Unternehmen zu veranlassen, diese Technologien erstmals großtechnisch einzusetzen. Sie stellen nach Ansicht der Experten jedoch einen "tiefen Eingriff des Staates in die Produktionsentscheidungen der Unternehmen dar" und seien mit "zahlreichen gravierenden Problemen" verbunden.

Denn solche Klimaschutzverträge erforderten eine detaillierte Kenntnis des Staates über die Kostenstruktur der Unternehmen und den Abschluss sehr komplexer Verträge, die tief in die Entscheidungen der Unternehmen eingriffen. Außerdem begünstigten solche Klimaschutzverträge bestehende Unternehmen zulasten von sich neu in dem Markt etablierenden Betrieben, gaben die Experten in ihrem Gutachten zu bedenken. Darum sollten Klimaschutzverträge nur zur Anschubfinanzierung von Pilotprojekten verwendet werden, so die Experten.


   Grüne Leitmärkte haben Kostensenkungspotentiale 

Grüne Leitmärkte hingegen seien technologieoffen und offen für den Marktzutritt neuer Unternehmen. "Sie geben den Unternehmen starke Anreize, die Technologien weiterzuentwickeln und Kostensenkungspotenziale zu heben. Wenn der Staat durch Regulierung vorgibt, dass in bestimmten Bereichen nur noch klimafreundlich produzierte Güter zulässig sind, kann er damit die Kosten des Klimaschutzes den eigentlichen Verursachern der CO2-Verschmutzung auferlegen", heißt es in dem Gutachten.

Die Experten raten der Regierung, dass im europäischen Rahmen regulatorische Maßnahmen zur Schaffung grüne Leitmärkte geschaffen werden sollten. Dies baue Handelshemmnisse ab, vergrößere den Markt, induziere dadurch zusätzliche Kostensenkungspotenziale und schafft zusätzlichen Wettbewerb. "Noch besser wäre es, sich mit den wichtigsten Handelspartnern in einem Klimaclub auf gemeinsame Standards und Zertifizierungsverfahren zu einigen", heißt es im Gutachten.

Die Wissenschaftler raten der Regierung zudem, die private Nachfrage nach klimafreundlich produzierten Gütern zu aktivieren und verstärken. So könnte der Staat etwa den Grünstahl, dessen Produktion er finanziert habe, für die eigene Beschaffung verwenden, wie etwa von Zügen, Brücken und Gebäuden. So könne die Nachfrage eine zusätzliche Produktion induzieren.

Wichtig sei zudem, dass die Definition von "grünem" Stahl und anderen grünen Grundstoffen transparent und international anschlussfähig sein sollte. Hier könne man sich am "stimmigen" Vorschlag der Internationalen Energieagentur für den Stahlmarkt orientieren.


   Handelbare Grünstahlzertifikate 

Die Experten plädierten außerdem für separat handelbare Grünstahlzertifikate, die potenziell zu erheblichen Effizienzgewinnen führen würden. "Das würde es (zudem) ausländischen Unternehmen ermöglichen, diskriminierungsfrei Grünstahlzertifikate für ihre Produkte zu erwerben und nachzuweisen", heißt es in dem Gutachten. So würde die internationale Akzeptanz und die Kompatibilität mit dem Recht der Welthandelsorganisation (WTO) erheblich erhöht werden.

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February 08, 2023 04:40 ET (09:40 GMT)