"Die Leistungsbilanz weist voraussichtlich ein Plus von 297 Milliarden Dollar auf", sagte Ifo-Experte Christian Grimme am Montag der Nachrichtenagentur Reuters. Damit ist Deutschland weltweit Spitze, gefolgt von China mit einem Überschuss von 245 Milliarden Dollar. 2015 war die Reihenfolge noch umgekehrt. Das Bundeswirtschaftsministerium wertete das Ungleichgewicht als hoch, aber nicht übermäßig. Es sei nicht das Ergebnis einer politischen Steuerung, sondern von Marktprozessen.

Der Überschuss, der mit einem Anteil von 8,6 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung weit über der von der EU vorgegebenen Grenze von sechs Prozent liegt, könnte aber nur eine Momentaufnahme sein. Schon für das laufende Jahr rechnet das Wirtschaftsministerium, unter anderem wegen der anziehenden Ölpreise, mit einem Abschmelzen. Zudem verwies eine Ministeriumssprecherin auf den Mindestlohn und steigende Investitionen im Inland, was Ungleichgewichte dämpfen sollte.

In die Leistungsbilanz geht nicht nur der Warenhandel, sondern auch der Dienstleistungs- und Kapitalverkehr - auch die Entwicklungshilfe - mit ein. Die deutschen Überschüsse im Handels- und Kapitalverkehr mit anderen Ländern sind international seit langem ein Streitpunkt. Der Vorwurf der Kritiker lautet: Deutschland bereichere sich auf Kosten anderer Staaten, tue im eigenen Land zu wenig, um zum Weltwirtschaftswachstum beizutragen.

Der neue US-Präsident Donald Trump hat bereits erkennen lassen, dass er solche Ungleichgewichte zulasten der USA nicht auf Dauer hinnehmen will. Die USA verzeichnen nach Ifo-Berechnungen 2016 mit voraussichtlich 478 Milliarden Dollar erneut das größte Defizit in der Leistungsbilanz. "Das bedeutet, dass die USA deutlich mehr verbrauchen als produzieren und sich im Ausland verschulden", erklärte Grimme. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums in Berlin entfallen allein 44 Prozent des deutschen Überschusses auf die USA und Großbritannien.

Das Plus in der Leistungsbilanz hat seinen Ursprung nicht nur im Warenaustausch mit Maschinen, Fahrzeugen oder Chemikalien, sondern geht mit einem Netto-Kapitalexport ins Ausland zu deren Finanzierung einher. Der deutsche Warenhandel sei aber besonders wichtig, so das Münchner Ifo-Institut. "Allein dort wurde bis zum November ein Überschuss von 255 Milliarden Euro erzielt." Haupttreiber sei die gestiegene Nachfrage aus den europäischen Ländern gewesen.

Die stellvertretende Grünen-Fraktionschefin Kerstin Andreae kritisierte: "Die Kehrseite des Rekordüberschusses ist der Investitionsstau in Unternehmen und öffentlicher Infrastruktur in Deutschland." Nur mit mehr privaten und öffentlichen Ausgaben erhalte man den Wohlstand und komme damit auch außenwirtschaftlich ins Gleichgewicht. Joachim Pfeiffer, der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, warnte den Import-Weltmeister USA vor Hürden gegen deutsche Exporte. Diese könnten einen Teufelskreis von Abschottungen auslösen.