Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Aus Sicht der Bundesregierung dürfte dieses Jahr eine Katastrophe gewesen sein. Sie hat zwar einige ihrer Projekte auf den Weg gebracht, aber der bittere Streit zwischen den drei Ampelparteien hat zu ihrem Absturz in den Umfragen geführt. Im kommenden Jahr 2024 wird es wohl noch schlimmer kommen. Denn bei ostdeutschen Landtagswahlen könnte die AfD, wenn man den Umfragen Glauben schenkt, zur stärksten Kraft werden. Das hat auch mit der Koalition in Berlin zu tun.

Denn der Streit zwischen den Koalitionsparteien SPD, Grüne und FDP wird weitergehen. Und damit den Verdruss der Wähler vergrößern. Zu deutlich sind die Unterschiede besonders zwischen den Grünen und der FDP bei den Themen Wirtschaft, Umwelt und Migration.

Der Haushaltsstreit wurde mit Ach und Krach vor der Weihnachtspause beigelegt. Der Frieden hielt nur wenige Stunden. Im Januar geht es um das Kleingedruckte - und der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Von diesen Querelen dürften die Union und die AfD weiter profitieren.


   Höhenflug der AfD 

Die AfD hat in Umfragen ihre Stimmen von 10,3 Prozent bei der vergangenen Bundestagswahl auf nun 22 Prozent mehr als verdoppelt. Im Osten liegt sie teilweise bei über 30 Prozent. Die Partei profitiert von der Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Besonders im Osten kommen das ab 2024 geltende Heizungsgesetz und die Migrationspolitik der Koalition nicht gut an.

Einen erster Stimmungstest wird es bei der Europawahl am 9. Juni geben an. Dann folgen am 1. September die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg sowie am 22. September in Thüringen. Umfragen sehen die AfD in allen drei Bundesländern vorne. Und das, obwohl der Verfassungsschutz die AfD in Sachsen und Thüringen als rechtsextrem einstuft.

Die AfD erwartet gar, dass die CDU im Osten mit der AfD zusammenarbeiten wird - und damit die von der Union beschworene Brandmauer fällt. Der Fraktionsgeschäftsführer der AfD im Bundestag, Bernd Baumann, betonte, dass die CDU in Fragen zur Begrenzung der Migration Positionen der AfD übernommen habe und es keinen Grund mehr gebe für die Brandmauer. "Das heißt, die CDU muss früher oder später mit uns zusammenkommen, sonst wird es sie zerreißen", sagte Bernd Baumann im ZDF-Morgenmagazin.


   Unbeliebter Bundeskanzler 

Als Zugpferd für die SPD und die Ampel insgesamt fällt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) komplett aus. Er ist Umfragen zufolge der unbeliebteste Kanzler, den Deutschland je hatte. Im Politikerranking des Meinungsforschungsinstituts Insa liegt er zuletzt auf Platz 17 - nach Platz 2 bei Amtsantritt vor zwei Jahren. Scholz konnte im Dezember in seiner Regierungserklärung zu den Folgen des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts und dem daraus resultierenden milliardenschweren Haushaltsloch kaum Zuversicht vermitteln. Das hat Folgen.

CDU/CSU bekommen in der jüngsten Insa-Umfrage für Bild mit 32 Prozent so viele Stimmen wie SPD, Grüne und FDP zusammen. Die SPD landet bei 15 Prozent, die Grünen bei 12 und die FDP bei 5 Prozent. "Die CDU/CSU baut ihre Stellung als stärkste Kraft aus. Der nächste Bundeskanzler dürfte aus den Reihen der Union kommen", sagte Insa-Chef Hermann Binkert der Bild-Zeitung. Eine weitere Scholz-Zeit sei angesichts der aktuellen Umfragewerte "höchst unwahrscheinlich".

CDU-Chef Friedrich Merz hofft darauf, dass die Ampel zusammenbricht und es schnell - vielleicht bereits zu den Europawahlen Anfang Juni - zu einer vorgezogenen Bundestagswahl kommt. Angesichts ihrer schlechten Umfragewerte wird die Ampel das verhindern wollen.

Aber Merz hat angesichts des andauernden Koalitionsstreits Grund zur Zuversicht. Seine Beliebtheitswerte haben sich zuletzt verbessert, trotz gelegentlich kontroverser Aussagen. Offen ist allerdings, ob es in der Union erneut zu einem Machtkampf um die Kanzlerkandidatur kommt. Neben Merz werden CSU-Chef Markus Söder und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst Ambitionen nachgesagt. Ein ähnlicher Machtkampf hat der Union bei der letzten Bundestagswahl geschadet.


   FDP als Wackelkandidat 

Gleich Anfang Januar könnte es für die Ampel in Berlin eine neue Hiobsbotschaft von der FDP geben. Die FDP-Mitgliederbefragung zum Verbleib in der Koalition läuft noch bis zum Montag, den 1. Januar 2024. Das Ergebnis der Online-Befragung ist nach Aussage der Parteispitze nicht bindend. Sie macht sich für einen Verbleib stark, man wolle nicht aus der Verantwortung fliehen. Aber sollte es zu einer Mehrheit für den Austritt aus der Koalition kommen oder das Ergebnis für den Verbleib knapp sein, dürfte FDP-Chef Christian Lindner das Votum nicht komplett ignorieren können.

Kürzlich betonte er im Interview mit dem Fernsehsender ntv, dass die Ampel "sicher nicht alles richtig", aber unter dem Strich doch "mehr richtig als falsch" gemacht habe in diesem Jahr. "Es ist keine gute Idee, die Regierung ohne triftigen Grund zu verlassen. Die FDP setzt viel an liberaler Politik in dieser Koalition um. Da sollte man die Republik nicht einer rot-grünen Minderheitsregierung oder dem Chaos überlassen. Denn es gäbe ja nicht plötzlich Neuwahlen und eine bürgerliche Mehrheit", sagte Lindner ntv.

Innerhalb der FDP gibt es aber Unruhe. Denn die FDP ist in Umfragen besonders stark gefallen. Sie liegt bei rund 5 Prozent - weniger als der Hälfte des Wahlergebnisses von 11,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2021. Die FDP wird sich weiter profitieren wollen und müssen. Notfalls zulasten der Koalition. Und zur Freude von Union und AfD.

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January 02, 2024 02:00 ET (07:00 GMT)