MÜNCHEN (dpa-AFX) - Keine Zeit zum Durchatmen: Wie andere Versicherer hat auch der europäische Branchenprimus Allianz wegen der verschärften Niedrigzinsen vermehrt zu kämpfen. Damit ihm nicht neue oder gar branchenfremde Rivalen die Butter vom Brot nehmen, treibt Vorstandschef Oliver Bäte die Digitalisierung weiter voran. Was bei der Allianz los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht:

DAS IST LOS BEI DER ALLIANZ:

Nach dem Umbau der Lebensversicherung und der Vermögensverwaltung Pimco hat Allianz-Chef Oliver Bäte seit 2018 die Sachversicherung des Konzerns in den Fokus gestellt. Die Schaden- und Unfallversicherung, die noch immer den Löwenanteil zum operativen Gewinn beisteuert, soll digitaler, schlanker und einfacher werden. Dadurch soll die Allianz ihr Geschäft wieder stark ausweiten - ohne dass dies zulasten der Gewinne geht.

So will der Konzern seinem heimischen Konkurrenten HUK Coburg und dessen Online-Ableger HUK24 in der deutschen Kfz-Versicherung nach vielen Jahren auf dem zweiten Platz mittelfristig wieder die Marktführerschaft abjagen.

Der Plan: Die Allianz entwickelt mehr Versicherungsangebote zentral für viele Länder statt einzeln für jeden Markt. Dies soll Kosten und Komplexität verringern. Im Herbst hat der Konzern in Deutschland seinen neuen digitalen Direktversicherer Allianz Direct an den Start gebracht, der mit niedrigen Verwaltungs- und Vertriebskosten punkten soll.

Auch das Sorgenkind Industrieversicherung packt Bäte an. Zuletzt tauschte der Konzern den Chef seines geplagten Industrieversicherers AGCS aus. Seit Dezember führt Joachim Müller dort die Geschäfte. Das Geschäft der Industrieversicherung gilt allgemein als schwierig. AGCS hat mit Verlusten zu kämpfen. Auch andere Versicherer wie Talanx (HDI) sanieren in diesem Bereich ihre Vertragsbestände: Die Lösung liegt entweder in einer Anhebung der Prämien oder in der Kündigung verlustbringender Verträge.

Wenn die Allianz an diesem Freitag (21. Februar) ihre Geschäftszahlen für 2019 vorlegt, wird sich zeigen, wie teuer diese Sanierung den Konzern im vierten Quartal kam. Zudem könnten Naturkatastrophen wie Taifun "Hagibis" in Japan oder die Waldbrände in Kalifornien und Australien am Gewinn gezehrt haben. Allerdings hat sich die Allianz mit Blick auf Naturkatastrophen seit einiger Zeit widerstandsfähiger aufgestellt.

Für das abgelaufene Jahr hat sich der Vorstand einen operativen Gewinn von 11 bis 12 Milliarden Euro zum Ziel gesetzt. Nach guten Geschäften in den ersten neun Monaten nahm das Management im Herbst die obere Hälfte der Spanne ins Visier. Während Analysten zu dieser Zeit noch optimistischer waren, dämpfte Finanzchef Giulio Terzariol Erwartungen, dass der operative Gewinn das obere Ende der Spanne erreichen und den Vorjahreswert von 11,5 Milliarden Euro noch deutlicher übertreffen dürfte.

"Dass die Zinsen so niedrig sind, hat Konsequenzen", hatte Terzariol gesagt. "Es gibt mehr Gegenwind." So hatte das Bundesfinanzministerium den Lebensversicherern Ende 2018 eine milliardenschwere Erleichterung verschafft, indem es die Berechnungsmethode für die Zinszusatzreserve (ZZR) änderte. Diese Reserve müssen Versicherer füllen, um ihre Verpflichtungen für alte Lebensversicherungsverträge mit hohen Garantiezinsen abzusichern.

Doch 2019 verschärfte die Europäische Zentralbank ihre Niedrigzinspolitik weiter. "Die Effekte aus der Methodenänderung und den weiter gefallenen Marktzinsen heben sich damit in den aktuellen Hochrechnungen gegenseitig auf", resümierte gerade die auf Versicherer spezialisierte Ratingagentur Assekurata. Die erhoffte Entlastung ist also praktisch passé.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Branchenexperten sind der Allianz-Aktie auch nach dem Kursanstieg der vergangenen Jahre weiter zugetan. Von den 14 im dpa-AFX Analyser erfassten Experten empfehlen acht das Papier zum Kauf, fünf tendieren zum Halten. Nur einer empfiehlt, die Aktie abzustoßen. Im Schnitt schreiben sie der Allianz ein Kursziel von 233 Euro zu und liegen damit nur knapp über dem jüngsten Kurs.

Nach den vorsichtigen Aussagen Terzariols haben von der Nachrichtenagentur Bloomberg bis Montag befragte Analysten ihre Schätzungen für 2019 etwas gekappt. Sie gehen im Schnitt nur noch von 11,7 Milliarden Euro aus. Das wären nicht einmal zwei Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Unter dem Strich dürfte ein Gewinn von fast 7,9 Milliarden Euro stehen, gut fünf Prozent mehr als 2018. Bei der Dividende gehen sie im Schnitt von einer Anhebung von 9 auf 9,48 Euro aus.

Experten erwarten, dass die Allianz im vierten Quartal die Schadenreserven bei AGCS deutlich aufgestockt hat. Analyst Jonny Urwin von der Schweizer Großbank UBS rechnet dadurch mit einer Belastung von 400 Millionen Euro. Allerdings habe die Allianz in diesem Geschäft zuletzt deutlich höhere Preise durchsetzen können. Daher schätzt er, dass sich der Vorstand für die Zukunft des Bereichs optimistischer zeigt.

Sein Kollege Ashik Musaddi von der US-Bank JPMorgan erwartet als positives Element für die Anteilseigner die Ankündigung eines weiteren Aktienrückkaufs im Umfang von 1,5 Milliarden Euro. Die Allianz hat seit 2017 bereits mehrere Milliarden Euro in den Rückkauf eigener Aktien gesteckt. Eigentlich hätte das Management die volle Kasse gern stärker dazu genutzt, um damit andere Versicherer zu kaufen. Allerdings fanden sich nicht viele und große Übernahmeziele, die die Allianz-Führung auch mit Blick auf die aufgerufenen Kaufpreise gereizt hätten.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Für die Aktionäre der Allianz hat sich die Anlage in den vergangenen Jahren ausgezahlt. Wer vor drei oder auch vor fünf Jahren bei dem Versicherer eingestiegen ist, hat den Wert seiner Investition ohne zwischenzeitliche Dividenden um rund 40 oder gar fast 60 Prozent vergrößert. Allein im Jahr 2019 legte der Kurs um rund ein Viertel auf mehr als 218 Euro zu. Und nach einem deutlichen Zuwachs im Februar steht seit dem Jahreswechsel ein Plus von mehr als 6 Prozent zu Buche.

Von ihrem Rekordhoch aus dem Jahr 2000 ist die Aktie aber immer noch weit entfernt. Damals wurde sie zeitweise zu mehr als 402 Euro gehandelt./stw/knd/he