(neu: Lieferung westlicher Schützenpanzer, Patriot-Batterie)

MOSKAU/KIEW (dpa-AFX) - Russlands Präsident Wladimir Putin hat erstmals seit Kriegsbeginn in der Ukraine eine Waffenruhe für die gesamte Front verkündet. Unterdessen teilten Deutschland und die USA am Donnerstag mit, dass sie der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer Schützenpanzer zur Verfügung stellen wollen. Deutschland werde der Ukraine neben Marder-Panzern zudem für die Luftabwehr eine Patriot-Flugabwehrbatterie zur Verfügung stellen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden nach einem Telefonat.

Auch USA schicken Schützenpanzer

Die USA wollen der Ukraine Panzer vom Typ Bradley bereitstellen. Bei den Typen Marder und Bradley handelt sich um die ersten Schützenpanzer westlicher Bauart, die die Ukraine erhält. Bisher wurden von osteuropäischen Staaten nur sowjetische Modelle in das Kriegsgebiet geliefert. Allerdings erhielt die Ukraine Flugabwehr-, Transport- oder Bergepanzer westlicher Hersteller. Der Kurswechsel deutete sich bereits am Mittwoch an, als der französische Präsident Emmanuel Macron dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj schwer bewaffnete Spähpanzer zusagte.

Habeck nennt Lieferung von Schützenpanzern an Ukraine folgerichtig

Vizekanzler Robert Habeck bezeichnete die geplante Lieferung des Schützenpanzers Marder an die Ukraine als gute Entscheidung. "Wir haben seit Kriegsbeginn unsere Unterstützung im Zusammenspiel mit unseren Partnern immer stärker ausgeweitet. Es ist folgerichtig, dass wir auch diesen Schritt gehen", sagte der Grünen-Politiker am Donnerstagabend. "Die Ukraine hat das Recht, sich selbst gegen den russischen Angriff zu verteidigen, und wir haben die Pflicht, ihr dabei zu helfen."

Russische Truppen wollen auch während Feuerpause Angriffe abwehren

Putin befahl dem russischen Verteidigungsministerium, dass die Waffen wegen des orthodoxen Weihnachtsfests von diesem Freitag um 12.00 Uhr mittags (10.00 Uhr MEZ) an bis zum 7. Januar 24.00 Uhr (22.00 Uhr MEZ) schweigen sollten. Die russischen Truppen würden sich im Falle eines Angriffs aber verteidigen, sagte der von Moskau im ostukrainischen Gebiet Donezk eingesetzte Besatzaungschef Denis Puschilin wenig später. "Die Entscheidung betrifft die Einstellung des initiativen Feuers und der Angriffshandlungen von unserer Seite", schrieb er im Nachrichtendienst Telegram. "Das bedeutet nicht, dass wir nicht auf Provokationen des Gegners antworten werden! Oder dem Feind auch nur irgendeine Chance geben werden, während dieser Feiertagsstunden seine Positionen an der Frontlinie zu verbessern."

Bisher nur kurze lokale Feuerpausen in der Ukraine

Putin rief die Ukraine auf, sich an die Feuerpause zu halten, damit Gläubige die Weihnachtsgottesdienste besuchen könnten. Die Ostkirchen feiern Weihnachten nach dem julianischen Kalender erst am 7. Januar. Bislang hatte es nur lokal begrenzte Feuerpausen gegeben, etwa für den Austausch von Gefangenen oder die Einrichtung humanitärer Korridore für Zivilisten rund um die monatelang belagerte ukrainische Hafenstadt Mariupol. Derzeit ist die Front nach Angaben des russischen Generalstabschefs Waleri Gerassimow 815 Kilometer lang.

Die Ukraine bezeichnete die angekündigte Feuerpause als "Heuchelei".

Die Führung in Kiew bezeichnete die Feuerpause als "Heuchelei". Der Berater im ukrainischen Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, schrieb auf Twitter: "Russland muss die besetzten Gebiete verlassen - nur dann wird es eine "zeitweilige Waffenruhe" geben." Im Gegensatz zum russischen Gegner greife die Ukraine kein fremdes Territorium an und töte keine Zivilisten. Das mache nur Russland. Beobachter in Kiew gingen davon aus, dass die Feuerpause den Ukrainerinnen und Ukrainern Angriffe mit Raketen und Drohnen über die Weihnachtstage ersparen könnte. An den Fronten im Osten und Süden des angegriffenen Landes werde sich die Lage hingegen wohl kaum verändern.

Bundesregierung nimmt angekündigte Waffenruhe "zur Kenntnis"

Die Bundesregierung reagierte zurückhaltend auf die angekündigte Feuerpause. "Wir haben die Ankündigung zur Kenntnis genommen", sagte ein Regierungssprecher in Berlin. "Jedes Einstellen der Kampfhandlungen trägt dazu bei, Menschenleben zu retten." Es bleibe aber dabei, dass Russland seine Truppen vollständig aus der Ukraine abziehen müsse und so diesen Krieg jederzeit beenden kann. "Dazu fordern wir Russland weiter auf."

Baerbock sieht bei Putin keine Bereitschaft zu Ende des Krieges

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb auf Twitter: "Eine sogenannte Feuerpause bringt den Menschen, die unter russischer Besatzung in täglicher Angst leben, weder Freiheit noch Sicherheit." Deshalb werde man die Ukrainer weiterhin unterstützen, "damit sie wieder in Frieden und Selbstbestimmung leben können". Sie ergänzte: "Wenn Putin Frieden wollte, würde er seine Soldaten nach Hause holen, und der Krieg wäre vorbei. Aber offenbar will er den Krieg fortsetzen, nach kurzer Unterbrechung."

Zu Ostern lehnte Moskau eine Waffenruhe noch ab

Zum höchsten Feiertag der Christenheit, dem Osterfest, hatte Russland im vergangenen Jahr eine Waffenruhe noch abgelehnt. Die würde es der Ukraine nur ermöglichen, neue Waffen zu erhalten und Kräfte umzugruppieren, hieß es damals. Nun äußerte sich das einflussreiche Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche ganz anders. "Ich, Kirill, Patriarch von Moskau und ganz Russland, rufe alle Seiten, die an dem internen Konflikt beteiligt sind, dazu auf, das Feuer einzustellen und eine Weihnachtswaffenruhe (...) herzustellen, damit die Gläubigen die Messen an Heiligabend und am Tag von Christi Geburt besuchen können", hieß es in seinem Aufruf. Dass Kirill den Angriff auf die souveräne Ukraine als "internen Konflikt" bezeichnete, verdeutlichte einmal mehr seine Nähe zum Kreml.

Putin: Verhandlungen nur ohne Rückgabe von Territorien an Ukraine

Putin machte eine Anerkennung der russischen Eroberungen in der Ukraine erneut zur Bedingung von Verhandlungen mit der Regierung in Kiew. Nach einem Telefonat Putins mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan teilte der Kreml am Donnerstag mit: "Wladimir Putin hat erneut die Bereitschaft Russlands zum ernsthaften Dialog betont - unter der Bedingung, dass die Obrigkeit in Kiew die bekannten und mehrfach öffentlich gemachten Forderungen erfüllt und unter Berücksichtigung der neuen territorialen Realität." Diese Forderungen widersprechen jedoch dem Völkerrecht./haw/DP/he