Peking (Reuters) - Die stotternde chinesische Konjunktur hat die Zentralbank in Peking überraschend erneut auf den Plan gerufen.

Die Notenbank der Volksrepublik senkte am Dienstag unerwartet den einjährigen Zinssatz für mittelfristige Kreditspritzen an Banken (MLF) um 0,15 Prozentpunkte auf 2,50 Prozent. Es ist bereits die zweite Senkung innerhalb von drei Monaten. Mit dem Schritt will die Peoples Bank of China (POBC) den Kreditfluss ankurbeln und damit die Wirtschaft unterstützen. Denn kurz nach Bekanntwerden der Entscheidung veröffentlichte Wirtschaftsdaten für den Monat Juli zeigten an, dass sich sowohl die Einzelhandelsumsätze als auch die Industrieproduktion in der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft schwächer entwickelt haben als erwartet.

Nach der Zinssenkung verkauften drei Insidern zufolge Chinas große Staatsbanken US-Dollar und kauften Yuan, um einen Kurssturz der Landeswährung zu stoppen. Der Kurs des Yuan ist seit Jahresbeginn zum Dollar bereits um fünf Prozent gesunken. Die Rendite zehnjähriger chinesischer Staatsanleihen gab auf 2,56 Prozent nach - das niedrigste Niveau seit Mai 2020. Der Shanghai-Composite verlor am Dienstag 0,3 Prozent.

Die Zinssenkung sei erfolgt, "um die Liquidität im Bankensystem auf einem angemessenen Niveau zu halten", teilte die Notenbank zu ihrer Entscheidung mit. In der jüngsten Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters unter Börsianern hatten 20 von 26 Teilnehmern vorhergesagt, die PBOC werde den MLF-Zins unangetastet lassen. Die Währungshüter setzten zudem den Sieben-Tage-Reverse-Repo-Zins um 0,10 Prozentpunkte nach unten auf 1,8 Prozent. Dieser Satz spielt am Geldmarkt eine wichtige Rolle. Analysten zufolge könnte die Notenbank nun in der kommenden Woche entscheiden, auch den Schlüsselsatz für Kredite mit einjähriger Laufzeit (LPR) zu senken. Aktuell liegt der Leitzins bei 3,55 Prozent.

"Die heutigen Zinssenkungen dürften dazu beitragen, das Vertrauen in nächster Zeit bis zu einem gewissen Grad zu stabilisieren", meint Commerzbank-Volkswirt Tommy Wu. "Es muss aber vermutlich noch mehr getan werden, insbesondere um den Wohnungsmarkt zu stabilisieren und die Finanzierung von Bauträgern zu unterstützen", so der Experte. Andere Analysten sind skeptischer. "Wir glauben, dass sich die chinesische Wirtschaft in einer Abwärtsspirale befindet, das Schlimmste kommt noch", schrieben die Analysten des Bankhauses Nomura in einem Kommentar. Die Zinssenkung werde nur eine begrenzte Hilfe sein. Chinas Notenbank gehört nach wie vor zu den Ausreißern unter den weltweiten Zentralbanken. Denn während die PBOC ihre Geldpolitik lockert, um einen ins Schlingern geratenen Aufschwung zu stützen, fahren andere Zentralbanken rund um den Globus im Kampf gegen eine hohe Inflation zum Teil einen sehr aggressiven Straffungskurs.

China leidet derzeit unter einer eingebrochenen Auslandsnachfrage und einem angeschlagenen Immobiliensektor. Dazu kommt eine steigende Arbeitslosigkeit und ein schwächelnder Konsum. Die Regierung in Peking hatte bereits eine Reihe von Konjunkturmaßnahmen ergriffen - von der Ankurbelung des Konsums von Kraftfahrzeugen und Haushaltsgeräten über die Lockerung einiger Immobilienbeschränkungen bis hin zur Unterstützung des Privatsektors. Doch bislang lässt eine nachhaltige Erholung der Wirtschaft auf sich warten.

Im Juli blieben sowohl die Industrieproduktion als auch die Einzelhandelsumsätze hinter den Prognosen der Analysten zurück, wie am Dienstag veröffentlichte Daten des Nationalen Statistikamts (NBS) zeigten. Die Industrieproduktion stieg um 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat und damit langsamer als im Juni mit 4,4 Prozent. Analysten hatten hingegen mit einem Plus von 4,4 Prozent gerechnet. Die Einzelhandelsumsätze, ein wichtiger Indikator für die Entwicklung des Konsums, nahmen lediglich um 2,5 Prozent zu nach einem Plus von 3,1 Prozent im Juni. Auch hier hatten Analysten mit 4,5 Prozent deutlich mehr erwartet. Das Wachstum war zudem das langsamste seit Dezember 2022.

(Bericht von Kevin Yao, Ellen Zhang, geschrieben von Frank Siebelt; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)