Washington/Berlin (Reuters) - Nach der Zinssenkung der EZB bleibt eine geldpolitische Kehrtwende der US-Notenbank wohl vorerst aus.

Der Schlüsselsatz dürfte zum Zinsentscheid am Mittwochabend (20.00 Uhr MESZ) in der Spanne von 5,25 bis 5,50 Prozent bleiben. Führende Vertreter der Federal Reserve (Fed) haben angesichts der zähen Inflation signalisiert, dass noch mehrere Monate ins Land gehen werden, bevor an eine Zinswende zu denken sei. Mit Spannung wartet die Finanzwelt nun auf aktualisierte Projektionen der Währungshüter: Sie dürften eine Orientierungshilfe geben, was an Lockerung in diesem Jahr zu erwarten sein wird.

Im März hatten die Fed-Oberen drei Zinsschritte nach unten avisiert - dies entspricht 0,75 Prozentpunkten. Bis es zur Kehrtwende kommt, dürfte es jedoch noch etwas dauern: "Wir erwarten einen ersten Zinsschritt im dritten Quartal, dem bis zu drei weitere bis Sommer 2025 folgen könnten", sagt Volkswirt Christian Scherrmann vom Vermögensverwalter DWS voraus. Er geht davon aus, dass Fed-Chef Jerome Powell den Anlegern keine "voreilige Hoffnung" auf eine geldpolitische Lockerung machen wird.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte ihre Zinswende am Donnerstag vollzogen und den Märkten zuvor entsprechende Signale gegeben. Dies wurde von einigen Notenbankern im Nachhinein als keine gute Idee angesehen. Einige Währungshüter, die üblicherweise einer straffen Geldpolitik zuneigen, hätten bedauert, dass eine bevorstehende Zinssenkung zu deutlich signalisiert worden sei, sagten Insider zu Reuters. Die Entscheidung fiel auch nicht einstimmig: Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann trug als einziger Währungshüter im EZB-Rat die Zinssenkung nicht mit.

"KEINE DRINGLICHKEIT"

Im Vorfeld der Fed-Sitzung haben es in den vergangenen Wochen viele Führungsvertreter der US-Notenbank tunlichst vermieden, sich eindeutig zu positionieren. Nach Einschätzung des New Yorker Währungshüters John Williams besteht derzeit keine unmittelbare Notwendigkeit, die Zinssätze zu senken. Er sehe keine Dringlichkeit für eine Lockerung "in naher Zukunft".

Wie aus den Protokollen der vorherigen Fed-Sitzung hervorgeht, ist selbst eine Zinserhöhung kein Tabu. Laut Fed-Direktor Christopher Waller deuten Daten allerdings daraufhin, dass die Inflation nicht zunimmt. Weitere Leitzinserhöhungen seien daher wahrscheinlich unnötig. Die Teuerungsrate war im April leicht auf 3,4 von 3,5 Prozent im März zurückgegangen. Die Fed strebt wie die EZB einen Wert von zwei Prozent an. Sie will vor einer Zinswende ein nachhaltiges Abflauen des Preisauftriebs in Richtung ihres Zielwerts sehen.

Wenige Stunden vor dem Zinsentscheid werden am Mittwoch frische Daten zur Entwicklung der Verbraucherpreise im Mai veröffentlicht. Sie dürften den Währungshütern Aufschluss darüber geben, ob sie weitere Fortschritte an der Inflationsfront erreicht haben. Die Fed will die Teuerung eindämmen, ohne die Wirtschaft abzuwürgen. Anfang des Jahres hat die Konjunktur bereits deutlich an Fahrt verloren: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte von Januar bis März auf das Jahr hochgerechnet nur noch um 1,3 Prozent zu. Dies ist die schwächste BIP-Zahl seit dem zweiten Quartal 2022, als die Wirtschaft sogar schrumpfte.

Fed-Beobachter Bernd Weidensteiner von der Commerzbank geht davon aus, dass das zweite Quartal im laufenden Jahr auch nicht wesentlich besser ausfallen dürfte als das erste: "Starke Anzeichen für eine etwaige Rezession finden sich in den Zahlen zwar nicht. Klar ist aber, dass die Risiken für die Fed nicht mehr so einseitig verteilt sind wie in den letzten Quartalen." Allerdings werde die Fed kaum mit einer raschen geldpolitischen Änderung auf einige schwächere realwirtschaftliche Zahlen reagieren, zumal es in den vergangenen Jahren immer wieder einmal kürzere Schwächephasen gegeben habe.

(Bericht von Howard Schneider und Reinhard Becker, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von Howard Schneider und Reinhard Becker