Zürich (Reuters) - Auf Martin Schlegel, den neuen Mann an der Spitze der Schweizerischen Nationalbank (SNB), wartet viel Arbeit.

Neue Vorschriften zur Regulierung des übergroßen Schweizer Bankensektors und der Umgang mit einer riesigen Bilanz, die die Gefahr enormer Verluste für die Notenbank birgt, stehen ganz oben auf der Liste von Herausforderungen, denen sich der vom Praktikanten zum designierten SNB-Präsidenten aufgestiegene Schlegel stellen muss.

Wenn der 47-Jährige im Oktober die Nachfolge des langjährigen Notenbankchef Thomas Jordan antritt, wird er zunächst aus dem langen Schatten seines Mentors heraustreten und ein eigenes Profil entwickeln müssen. "Thomas Jordan zu beerben, wird schwer sein", sagte Stefan Gerlach, Chefökonom des Vermögensverwalters EFG International und ehemaliger Vizegouverneur der irischen Zentralbank. "Er ist ein erstklassiger Ökonom, der die Inflation in schwierigen Zeiten unter Kontrolle gehalten hat." Ein anderer Wirtschaftsexperte, der nicht namentlich genannt werden wollte, sieht die Herausforderung für Schlegel darin, von einem Taktiker, der die Geldpolitik der SNB umsetzt, zum Verantwortlichen für die übergeordneten Ziele der Zentralbank zu werden. "Schlegel wird nun die großen strategischen geldpolitischen Entscheidungen treffen müssen. Das ist ein völlig anderes Spiel."

Der promovierte Volkswirt Schlegel, der 2003 als Praktikant bei der SNB anfing und als Schüler Jordans gilt, hatte am Mittwoch bei seiner Ernennung zum SNB-Präsidenten durch die Regierung sein Engagement für das Mandat der Zentralbank, Preisstabilität zu gewährleisten, betont. Das ist der SNB gelungen: Die Inflation in der Schweiz ist eine der niedrigsten unter den großen Volkswirtschaften und sie liegt seit rund einem Jahr wieder im Zielbereich der Notenbank von null bis zwei Prozent. Dies erlaubt der SNB eine Vorreiterrolle bei der geldpolitischen Lockerung: Vergangene Woche senkte sie zum zweiten Mal in Folge ihren Leitzins auf noch 1,25 Prozent.

PROBLEMBEREICHE RIESENBILANZ UND BANKRIESE

Anderes hingegen bietet Anlass zur Sorge. Ein Problem ist die riesige Bilanz der Notenbank: Fast 860 Milliarden Franken sind es, hauptsächlich Anleihen und Aktien ausländischer Unternehmen. Das Erbe aus der Zeit, als die Notenbank mit massiven Fremdwährungskäufen eine wirtschaftsschädliche Aufwertung der Landeswährung eindämmte, brockte der SNB in den vergangenen beiden Jahren zum Teil enorme Verluste ein und führte zum Ausfall der Ausschüttung an Bund und Kantone - was politischen Zündstoff birgt. "Eine Zentralbank kann nicht bankrott gehen, weil sie immer Geld drucken kann", sagte Sarah Lein, Professorin an der Universität Basel und ehemalige Ökonomin bei der SNB. "Aber große Verluste könnten sich negativ auf die Glaubwürdigkeit der SNB auswirken - das wichtigste Gut für eine Zentralbank."

Unter den Nägeln brennen dürfte Schlegel auch die neue Schweizer Bankenlandschaft, dominiert vom Bankriesen UBS. Denn zu den Aufgaben der SNB gehört auch die Finanzstabilität des Landes. Und der UBS mit einer Bilanzsumme doppelt so groß wie die gesamte Wirtschaft des Landes kann im Krisenfall kein anderes inländisches Geldhaus mehr rettend zur Seite springen. "Wenn die UBS ein Problem hat, hat auch die SNB ein Problem und die Schweiz ebenso", sagt Adriel Jost, Ökonom am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik. "Letztlich ist die Frage der Bankenregulierung von entscheidender Bedeutung, und die SNB hat ein Interesse daran, in den Diskussionen mit der Regierung und der Finanzaufsichtsbehörde eine wichtige Rolle zu spielen."

KRITIKPUNKTE KOMMUNIKATION UND KLIMASCHUTZ

Schlegel muss sich wohl auch mit der immer wieder geäußerten Kritik auseinandersetzen, die Zentralbank sei in ihrer Kommunikation und ihrem Denken zu sehr auf sich bezogen und konservativ. "Der Ansatz der SNB muss sich ändern - sie ist ein ziemlich geschlossener Betrieb", sagte Charles Wyplosz vom Graduate Institute in Genf und Mitglied der Ökonomen-Gruppe SNB Observatory, die sich immer wieder zu Belangen der Notenbank äußert.

Unter Beschuss geraten ist die SNB auch wegen ihres Umgangs mit dem Klimawandel. Sie tue zu wenig, um Kohlenstoffemissionen von Unternehmen, in die sie investiert, zu senken, lautet der Vorwurf. Schlegel sagte nach seiner Ernennung auf einer Medienkonferenz, dass der Klimawandel ein extrem wichtiges Thema für die gesamte Menschheit, für die Schweiz und auch für die Nationalbank sei. Analysten erwarten indes nicht, dass die SNB ihre Anlagestrategie bald ändern wird.

WEITER WIE BISHER BEI DER GELDPOLITIK

Große Änderungen in der SNB-Geldpolitik werden unter Schlegel nicht erwartet. Preisstabilität und die Eindämmung zu großer Wechselkursschwankungen des Frankens - nach oben wie nach unten - dürften Priorität bleiben. "Der Schwerpunkt der Geldpolitik hat sich bewährt, es gibt also keinen Grund, ihn zu ändern", sagte Ökonomin Lein.

Schlegel selbst hielt sich am Mittwoch bedeckt: "Ich glaube, Sie werden dann in den nächsten Monaten und Jahren noch genug Gelegenheit haben, mich kennenzulernen."

(Bearbeitet von Paul Arnold, redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von John Revill