FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt die Zinsen im Euroraum zum zweiten Mal in Folge unverändert. Der Leitzins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können, bleibt nach einer Entscheidung des EZB-Rates bei 4,5 Prozent, wie die Währungshüter am Donnerstag in Frankfurt mitteilten. Die Inflation im gemeinsamen Währungsraum schwächte sich zuletzt überraschend deutlich ab.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde stellte im Gegensatz zur US-Notenbank Fed keine Zinssenkungen in Aussicht: "Wir haben überhaupt nicht über Zinssenkungen diskutiert. Keine Diskussion, keine Debatte über dieses Thema."

Zugleich beschlossen die Währungshüter, ihre Anleihebestände aus dem in der Corona-Pandemie aufgelegten Kaufprogramm PEPP in der zweiten Jahreshälfte schrittweise abzubauen. Zum Jahresende 2024 sollen dann gar keine Gelder aus auslaufenden Wertpapieren des Kaufprogramms mehr in den Erwerb neuer Wertpapiere gesteckt werden.

Die Aussagen der Ökonomen im Überblick:

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank

"Auf der heutigen Pressekonferenz hat EZB-Präsidentin Lagarde die ausgeprägten Zinssenkungserwartungen zu dämpfen versucht. Allerdings hat sie sich in der Summe optimistischer zum Inflationsausblick geäußert. Wir ändern unsere EZB-Prognose, ziehen den Zeitpunkt der ersten Zinssenkung auf Mitte 2024 vor und erwarten bis Frühjahr 2025 nun insgesamt vier statt zwei Zinssenkungen. Wir rechnen weiterhin mit deutlich weniger Zinsschritten als die Terminmärkte, weil wir das Inflationsproblem grundsätzlich für nicht gelöst betrachten."

Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank

"Die Tür für Zinssenkungen wird sich im kommenden Jahr sperrangelweit öffnen. Die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der Eurozone ist schwach und wird auch schwach bleiben, gleichzeitig werden die Inflationsraten weiter fallen. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass die EZB rasch die geldpolitischen Zügel lockern wird. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass die europäischen Währungshüter noch bis zur Jahresmitte mit einer geldpolitischen Lockerung warten - dann aber dafür deutlich lockern werden. Wir rechnen mit Zinssenkungen im Umfang von 150 Basispunkten im kommenden Jahr."

Ulrich Wortberg, Analyst Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba)

"Unserer Einschätzung nach gibt es aber kaum noch Spielraum für höhere Leitzinsen, denn die Inflation kommt im Trend zurück und die Konjunktur läuft nicht rund. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass die Inflationsprognose für 2024 auf 2,7 Prozent gesenkt wurde. Die Wachstumsprognose wurde ebenfalls ermäßigt auf 0,8 Prozent in 2024."

Elmar Völker, Analyst der Landesbank Baden-Württemberg

"Die EZB liefert eine zweigeteilte Botschaft. Einerseits verabschiedet sie sich faktisch von der Zinsanhebungsphase, wie dies die Fed bereits gestern getan hat. Andererseits beschleunigt sie das Abschmelzen der Anleihebestände ab der Mitte nächsten Jahres. (...) Die Absenkung der Inflationsprojektion für das kommende Jahr und eine Prognose leicht unter Zielwert für das Jahr 2026 öffnen derweil ein Stück weit die Tür für erste Lockerungen an der Zinsschraube im kommenden Jahr. Das Kommuniqué der EZB liefert indes keine Hinweise darauf, dass man in Frankfurt die Wende bereits im ersten Quartal einzuleiten gedenkt, wie dies die Notierungen am Euro-Zinsmarkt in den vergangenen Tagen verstärkt nahegelegt haben."

Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank

"Wie im Vorfeld erwartet, hält die EZB die Füße still und ändert nichts an den Zinsen. Die Notenbank hat aber angekündigt, die PEPP-Reinvestitionen schon ab Mitte kommenden Jahres auslaufen zu lassen. Damit dürfte sie eine erste Zinssenkung im zweiten Halbjahr 2024 vorbereiten. Das ist später als von vielen Marktteilnehmern erwartet. Insbesondere nach der gestrigen Fed-Sitzung, die taubenhaft war und für viel Optimismus an den Finanzmärkten gesorgt hat, möchte die EZB wohl ein bisschen Wasser in den Wein gießen. Das ist zu begrüßen. Lockert die Notenbank die Zinsschraube zu schnell, könnte sie negativ von der Inflation überrascht werden."

Johannes Mayr, Chefvolkswirt beim Vermögensverwalter Eyb & Wallwitz

"Auf ihrer Dezember-Sitzung hat die EZB - anders als die Fed - die Tür für Leitzinssenkungen nicht aufgemacht. Der Zinsgipfel sei zwar erreicht, auch weil die Prognosen für Konjunktur und Inflation weiter gesenkt wurden. Mit dem Verweis auf einen nach wie vor zu hohen Lohnkostendruck sowie die Notwendigkeit von anhaltend straffen Finanzierungskonditionen am Markt hat sie aber gleichzeitig deutliche Zeichen gegen rasche und umfangreiche Zinssenkungen gesetzt. Schwache Konjunkturdaten dürften diese Entschlossenheit in den kommenden Monaten allerdings einem Test unterziehen."

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