Washington (Reuters) - Bundesbank-Präsident Joachim Nagel kann einer Debatte über den Zinskurs der EZB nach einer möglichen ersten Zinssenkung im Juni nicht viel abgewinnen.

"Die Diskussionen, die über den Juni hinaus gehen, die halte ich für verfrüht," sagte er am Donnerstag auf einer Pressekonferenz mit Bundesfinanzminister Christian Lindner in Washington. Es sei sehr hilfreich gewesen, stets von Sitzung zu Sitzung die Daten zu analysieren. Die Europäische Zentralbank (EZB) hält nach zehn Zinsanhebungen im Kampf gegen die Inflation inzwischen seit September 2023 die Schlüsselsätze konstant. Der richtungsweisenden Einlagensatz, den Geldhäuser erhalten, wenn sie überschüssige Gelder bei der Notenbank parken, liegt seitdem bei 4,00 Prozent.

Nagel zufolge steuert die EZB auf eine erste Zinssenkung im Juni zu: "Im Euroraum könnte aus heutiger Sicht die erste Leitzinssenkung im Juni angemessen sein." Die hereinkommenden Daten müssten aber die vorausgesagte Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen Notenbank-Ziel von zwei Prozent hinreichend überzeugend nahelegen. Nagel zufolge wird das Zinsniveau zunächst im restriktiven Bereich bleiben - also die Wirtschaft weiter bremsen. Er würde die Entwicklung nach dem Juni als vorsichtigen Gleitflug charakterisieren. "Ein zurück zu Null- oder gar Negativzinsen ist aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich." Der nächste EZB-Zinsentscheid ist am 6. Juni.

Insgesamt seien für Verbraucherinnen und Verbraucher, aufgrund der zurückgehenden Inflation die Aussichten deutlich besser, sagte Nagel. Die Teuerungsrate im Euroraum lag im März nur noch bei 2,4 Prozent - im Herbst 2022 waren es zeitweise noch über zehn Prozent gewesen. Nagel warnte aber davor, zu früh in Euphorie zu verfallen. "Also es ist nicht auszuschließen, dass wir einzelne Monate haben werden, auch in Deutschland, in denen die Inflationsrate wieder leicht nach oben gehen könnte."

LINDNER - POTENZIALWACHSTUM VERDOPPELN

Zur Lage der deutschen Wirtschaft sagte Nagel, man sehe das erste Quartal "positiver als noch vor ein paar Monaten, vor ein paar Wochen." Die Stimmungslage habe sich aufgehellt. Eventuell werde die Weltwirtschaft im zweiten Halbjahr wieder mehr Fahrt aufnehmen, was dann dem deutschen Außenhandel helfen würde. "Auf Jahressicht gesehen reden wir vielleicht von Wachstumsraten in der Größenordnung von plus 0,3, 0,5 Prozent." Ab 2025 stehe dann wieder eine "1" vor dem Komma. 2023 war die deutsche Wirtschaft noch um 0,3 Prozent geschrumpft, während viele andere Länder in Europa und Übersee deutlich auf Wachstumskurs waren. Der IWF traut Deutschland in diesem Jahr derzeit nur ein mageres Plus von 0,2 Prozent zu.

Laut Lindner könnte es in Deutschland zwar bald eine Verbesserung geben. "In struktureller Hinsicht bleiben wir aber weit hinter unseren Möglichkeiten." Die Ampel-Regierung seiner FDP mit SPD und Grünen müsse die Rahmenbedingungen verbessern. Viele der Maßnahmen kosteten kein Geld. Das Potenzialwachstum liege derzeit nur bei mageren 0,5 Prozent. Dies müsse in zwei bis drei Jahren verdoppelt werden.

(Bericht von Frank Siebelt und Christian Krämer. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)